Gleich einem Fluss aus rotem Blute, dessen Wellen über die Ufer tritt und alles in sich zu verschlingen droht, leuchtete die Morgenröte über die metallenen Flachdächer der kleinen Stadt Alington und tauchte sie in ihr helles, rötliches Licht. Die Räuber, die in den Schatten der Stadt ruhen, erwachten.
Ganz anders hingegen wurde ein vierzehn-jähriger Waise, Pent war sein Name, von den Strahlen geweckt, denn innerhalb seines Schlafplatzes nahm die Temperatur stetig zu und die Luft wurde schwül und ließ seine Lungen brennen. Langsam erhob er sich aus seinem Schlafplatz, einer Regentonne, die er von innen mit uralten Decken und Kissen gefüllt hatte, um so einen trockenen, aber auch warmen Schlafplatz zu haben, schob langsam den Deckel herab und schaute sich um. Die kleine Seitengasse, die er seit dem Tode seiner Eltern von vor sieben Jahren sein Heim nannte, war frei. Es schien keine Gefahr zu drohen.
Eilig und mit einer erstaunlichen Routine kraxelte er aus der Tonne und sprang auf die vom letzten Regenschauer nass gewordene Straße. Dreckiges Wasser spritzte auf und benetzte seine knielangen Shorts, die er sich vor einiger Zeit ergaunert hatte, doch ihm war das egal. Hastig und so gut es ihm eben möglich war, hob er den Deckel der Tonne an und deckte damit selbige wieder zu, um so sein geheimes Versteck vor neugierigen Blicken, oder anderen Dingen zu behüten, denn abgesehen von einem güldenen Herzmedaillon, welches er stets um den Hals trug und in dessen Inneren ein Bild von ihm und seiner Mutter war, hatte er nicht mehr viel wertvolles. Und das was er noch hatte, waren nur ein paar lächerliche Essensvorräte, die er im Inneren der Tonne hortete, seine zerschlissene Kleidung und ein Allzweckmesser, dessen Klinge eine Länge von vierzehn Zentimeter aufwies, und einstmals seinem Vater gehört hatte. Dies war sein einziger ihm noch gebliebener materieller Besitz.
Zu gut erinnerte er sich daran, als sie kamen, um alles niederzubrennen und zu vernichten – es waren die Soldaten eines anderen, fremden Landes und obgleich unzählige Jahre, sieben um genau zu sein, vergangen waren, hatten sie sich noch immer nicht von diesem Schlag erholt.
Vater Staat hatte den Notstand ausgerufen und die Menschen waren einst in Panik geraten. Pent hatte damals nicht begriffen was vorging, geschweige denn erfasst was geschah, doch als sie mit ihren feuerspeienden Waffen, Geschossen und den Feuern der Hölle auf sie niederkamen und ihnen alles nahmen, was sie besaßen, da wusste er mehr, als er jemals hatte wissen wollen.
Der Staat war am Ende und hatte sich aufgelöst. Kein Gesetz, keine Ethik und keine Hoffnung auf Besserung, denn der Großteil der Bevölkerung war ausgelöscht und mit ihm die Zukunft dieses Landes und vor allem dieser Stadt. Dies war das Resultat eines hirnverbrannten Krieges, dessen Gründe ein siebenjähriger Junge nicht mal im Ansatz begreifen konnte und es auch heute nicht tat. Die Regierung existierte nun nicht mehr und auch keine Justiz war mehr vorhanden, denn nun kämpft ein jeder um sein eigenes Leben.
Die einen rotteten sich in Kommunen zusammen, die anderen griffen zu den Waffen und fochten erbitterte Bandenkriege und ganz wenige, Pent war einer von ihnen, machten sich selbstständig und nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand.
Die Stadt war gefährlich und ein jeder Mensch konnte sich seiner Sache nicht mehr sicher sein. Hinter jedem Schatten lauerten Mord und Todschlag. Jede Person hatte nun die Freiheit zu tun und zu lassen, was er, oder sie wollte. Strom und Elektrik gab es auch keine mehr, daher war jeder dazu gezwungen sich alles auf anderem Wege zu besorgen, sei es nun auf listige, oder auf gewalttätige Weise. Pent aber, der zu klein und schmächtig war, um sich auf den Einsatz von Gewalt zu spezialisieren, zog erstere Variante vor.
Eiligst und gleich einer Katze versteckte er sich in der Dunkelheit und schlich sich voran, aus der Gasse hinaus, die Straße entlang und hinaus in das einstige Zentrum der Stadt. An einer Straßenecke hielt er kurz inne. Ein Blick nach rechts, ein Blick nach links und als er keine Gefahr entdeckte, konnte die Reise weitergehen. Trippelnden Schrittes lief er auf den alten Supermarkt um die Ecke zu, wo er früher so gerne mit Vati und Mutti einkaufen gegangen war und ihm einst die freundliche Kassiererin eine Wurst angeboten hatte. Heute aber war sie nicht mehr da und stattdessen wartete nur trostlose Stille und ein menschenleeres Haus auf ihn. Der Laden war vollkommen zerstört. Die Gläser waren brüchig und Scherben bedeckten den Boden. Auch die Tür war eingeschlagen und aufgebrochen worden und machte es so jedem, der sich Eintritt verschaffen wollte, möglich dies zu tun, aber dennoch konnten jene, die sich dort genau genug umsahen, auch Hoffnung finden, denn es gab noch immer ein paar Überbleibsel aus der alten Zeit und Lebensmittel, die zwar allesamt abgelaufen waren, aber wer tagtäglich um sein Überleben kämpfte, der dachte nicht viel über solche Dinge nach. Früher noch hatte ihm seine Moral gesagt er dürfe nicht stehlen, aber heute war es reine Routine für ihn, weswegen er heute auch nicht mehr zögerte und gierig in die kaputten Regale griff und so viel wie er tragen konnte mitnahm.
Auch heute war seine Ausbeute von Erfolg, Pent lief unbeschwert hinaus und schlenderte die Straße hinunter mit den Lebensmitteln in der Hand. Fröhlich pfiff er ein Ständchen, welches er früher von seiner Mutter gelernt hatte. Wieso denn auch nicht? Die Winkel und Gassen waren leer und es war keine Gefahr in Sicht – dachte er zumindest.
Urplötzlich brach aus den Schatten eine Gestalt hervor. Ein Schlag traf Pent am Kopf und ließ ihn zu Boden fallen. Sterne tanzten vor seinen Augen und Blut troff von der Stirn. Schier unbeschreibliche Schmerzen durchzuckten seinen Schädel und obgleich er sich noch nicht erholt hatte, packte ihn eine Hand mit brachialer Gewalt und hob ihn hoch, um ihn mit gegen die Wand zu pressen.
Pent keuchte erschrocken auf. Wie hatte er nur so sorglos sein können! Allmählich begann sich sein Blick zu klären und der kleine Junge erblickte einen etwas älteren, gedrungenen Mann, dessen graues verfilztes Haar ihm ins Gesicht fiel und ihm etwas verwegenes verlieh. Grimmig lächelte er ihn mit seinem zahnlosen Lächeln an. „Haste gut gemacht.“, sagte er stockend, aber einigermaßen verständlich zu seinem Gefangenen, um ihn anschließend prompt zu Boden fallen zu lassen. Eilig bückte sich der Angreifer nach Pents Ausbeute und verstaute sie in seinen Manteltaschen.
Pent, der noch immer zu geschockt war, um auch nur zu reagieren, schaute dem Treiben fassungslos zu. Seine Ausbeute, die Nahrung, die er so dringend gebraucht hatte verschwand in den Taschen des fremden Mannes und ebenso wie diese verließ auch der Fremde Pent und ließ ihn in seiner Pein zurück.
Leise wimmernd kauerte sich der Waise in die Ecke und weinte. Die Tränen flossen in Strömen sein Gesicht hinab und er schluchzte herzerweichend. Wie sehr sehnte er sich doch nach der alten geregelten Welt, als alle Menschen noch nicht vollkommen frei in ihren Möglichkeiten waren und ihrem Handeln noch Grenzen gesetzt waren? Gewiss, er hatte sich auch nicht sonderlich vorteilhaft entwickelt, aber er bereute es wenigstens sich so entwickelt zu haben!
Der Freiheit des Menschen gehören Grenzen gesetzt und seien sie nur dadurch aufgestellt, das sein soziales Umfeld ihn zum Positiven beeinflusst. Pent konnte nicht mehr und er wollte auch nicht mehr ein derartig tristes Leben führen. Alles, was ihm geblieben war das, was er am Leibe trug und die Freiheit zu tun, was immer er wollte, aber was war diese Freiheit schon wert, wenn er sich vor seinem eigenen Schatten fürchten musste?
Pent beschloss zum Laden zurückzugehen, um sich eine neue Ration zu besorgen. Anschließend würde er Heim gehen und darüber nachdenken was vorgefallen war und wie er sein Leben ändern konnte. Morgen würde ein neuer Tag beginnen und vielleicht hätte er dann mehr Glück im Leben und mit den Menschen.
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