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Thread: Das Wesen der Idee

  1. #1
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    06.2007
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    Default Das Wesen der Idee

    Prolog

    Zu altern ist widerlich, nicht wahr? Freut man sich noch des ersten Bartflaums, der einem als Jüngling als Zeichen der aufkeimenden Mannbarkeit gewachsen ist, so ist die erste Runzel im Gesicht gewiss kein Grund mehr zur Freude. Der Mensch wächst nicht mehr, er altert. Siecht dahin und geht zugrunde. Verlassen von seiner Jugend und deren Geist, ihrem Charme und ihrer Vitalität.
    „Wo ist sie nur geblieben?“, fragt man sich. Die Antwort ist offensichtlich, weil sie ist verloren. Sie ist fort und das für immer. Wir schauen zurück und fragen uns, wo die Zeit geblieben ist.
    Verweht vom Winde wie eine Spur im Sand der Zeit.
    Und plötzlich werden wir uns bewusst, dass wir vollkommen unbedeutend und ein triefender Makel auf dieser Erde sind, der seine Sünden und Bürden stets auf die nächste Generation zu übertragen pflegt. Ein Schandfleck sind wir geradezu und nicht viel mehr. Biedern wir uns aber nicht selbst als höchstes Geschöpf auf Erden an?
    Widerlich, sage ich!

    (…)

    „Und wenn schon“, sagt dann die andere Stimme, die des Verführers, in mir mit ihrem schmeichelndem Unterton. „Genieße es. Liebe deine schadhaften und schrecklichen Wünsche und Sehnsüchte.“ „Warum eigentlich nicht?“, frage ich mich dann. „Ist es wirklich so schlimm man selbst zu sein? Sollte man nicht sowohl mit den positiven, als auch mit den negativen Seiten des eigenen Selbst zurecht kommen? Und hat nicht auch alles seine guten Seiten? Warum auch nicht diese Eigenheit des Menschen?“
    Vielleicht. Ich weiß es nicht.

    (…)

    Der Anblick des Vergänglichen aber widert mich trotzdem an, weil er mich meiner eigenen kurzen Lebensspanne bewusst werden lässt.

    (…)

    Aber das ist einer der vielen Fehler, die wir Menschen in uns tragen und irgendwo schäme ich mich auch dafür, aber in Momenten wie diesen weiß ich um jene eine Sache, die wir in unserem Herzen verstecken und dessen wir uns eigentlich nur zu sehr bewusst sind, es aber nicht eingestehen wollen, nämlich unserer eigenen Gier.
    Ihr fragt mich, wonach ich selbst strebe? Ewiges Leben und ewige Jugend! Zu lange blieben einem jeden von uns die Portale des Lebens verschlossen und nun ist es viel zu spät, um umzukehren. Ungenutzt verstrichen die Jahre und was passiert mit uns? Dir? Mir? Wir siechen dahin und nehmen es hin. Können wir doch auch nicht anders, weil wir doch nichts anderes, als ein unbedeutendes Etwas sind, dessen Tage bereits von Geburt an gezählt sind.
    Wieso aber sollte ich in den Geschichtsbüchern künftiger Generationen überleben wollen, wenn ich selbst erhalten bleiben könnte? Wieso ruhen und verwesen in einem hölzernen Sarg, inmitten nasser Erde begraben, wenn ich es genießen könnte, auf der Erde, unter der andere liegen, zu wandeln? Ich will doch nur leben. Ist das denn zu viel verlangt?

    (…)

    Umgeben bin ich nur von törichten Tölpeln, die ihr Geschenk von Mutter Natur nicht richtig zu würdigen wissen und es daher ungenutzt vergeuden. Stets muss ich ansehen, wie alles Leben entschwindet und das stimmt mich traurig. Sieht man sich um, dann erblickt man meist nur die Gegensätze, aber nie das Graue. Mischungen aus weiß und schwarz werden gerne ausgeblendet, denn - wie wir alle nur zu gut wissen - sind alle Übrigen stets, ganz gleich ob jung oder alt, „Die Anderen“.
    Diese Bezeichnung resultiert aus dem Unwissen beider Fraktionen und dem mangelndem Verständnis füreinander. Jugend und Alter vertragen sich einfach nicht. Und doch… Was wäre so schlimm daran, wenn es nur einen gäbe, der alle Zeit und beide Menschengeschlechter überdauern würde?
    Grau, nicht weiß, oder schwarz, müsste dieser jemand sein. Gesegnet mit der Frische der Jugend und dem Geist des Alten und dessen Weisheit. Schlussendlich bleibt für mich nur noch eine Frage offen:
    Was würdet ihr dafür hergeben, wenn ihr stets aufs Neue eure Jugend wieder und wieder leben könntet?

    Kapitel 1

    Öde und trostlos. Das wären die ersten Worte gewesen, hätte er den Unterricht beschreiben sollen, dem er gerade beiwohnte. Den Kopf aufgestützt und mit halb geschlossenen Augen stierte er nach vorne und lauschte den Ausführungen des Biologielehrers, der versuchte, ihnen die Vorgänge der Mitose näher zu bringen. Ein überaus langweiliges Thema, wie er fand. Dennoch sah er sich gezwungen zuzuhören, denn Biologie war sein schlechtestes Fach und daher hatte er keine Wahl, ganz gleich, wie öde, oder trostlos dieser Unterrichtsstoff auch sein mochte.
    Er seufzte kurz auf und warf einen Blick auf den Füller in seiner Hand, dessen Kappe er wieder und wieder drauf- und wieder absetzte. Es war zwar kein sinnvoller, geschweige denn unterhaltsamer Zeitvertrieb, dafür aber umso beruhigender; er hatte eh nichts Gescheites zu tun. Sollten die anderen ruhig den tristen Vorträgen von Hans lauschen, er würde es nicht tun, ganz gleich wie sehr er auch diesen Lehrer mochte und respektierte. Seine Interessen lagen in ganz anderen Bereichen, obgleich er sich selbst manchmal fragte, was das eigentlich für welche waren.
    Kurz schweifte sein Blick nach links zu einigen Klassenkameraden, dann wieder nach rechts, hinaus aus dem Fenster. Er hoffte dort draußen, auf dem Schulhof, etwas Interessantes zu finden, wurde jedoch nicht fündig. Der Wind spielte sachte mit den Bäumen, ließ ihre Wipfel sich leicht biegen und ihre grünen Laubblätter rascheln, aber etwas Außergewöhnliches fand er nicht. Wieso denn auch? Zeit seines Lebens war er hier im Internat der Schule gewesen und verbrachte seinen tristen Alltag damit dem Unterricht beizuwohnen, zu schlafen und dann wieder herumzuschlendern. Manchmal träumte er auch vor sich hin, ganz so wie er es jetzt tat und vergaß dabei die Welt um sich herum. Oft hörte er nebenbei Musik, um sich zu entspannen. Selten kam es vor, dass er auch mal ein Gespräch mit einem Mitschüler führte, aber das war überaus rar, weil der Großteil der Schülerschaft ihn mied. Er war ein Außenseiter und ein Ausgestoßener.
    Außerdem war er sich ganz sicher, dass es hier nichts gab, was ihn wirklich zu fesseln vermochte. Außer vielleicht einer Sache. Und die lag gänzlich außerhalb seiner Reichweite.
    Schüchtern wandte er den Kopf nach links und blickte in die nächstgelegene Sitzreihe vor ihm. Dort sah er niemand geringeres, als Claudia. Ein junges Mädchen voller Lebensfreude und mit ungeheurer Selbstsicherheit, was wohl daran lag, dass sie überaus attraktiv und daher entsprechend beliebt bei den Mitschülern war.
    Sie trug, wie üblicherweise auch, ein schwarzes, ärmelloses Top und eine recht weite, luftige Hose, die gleichfalls einen schwarzen Farbton hatte. Ihr langes, dunkelbraunes Haar berührte dabei knapp ihre Schultern und umspielte ihr schmales, weiches Gesicht. Abermals bemerkte er, dass sie ihre Haare scheinbar gerne offen trug.
    Ihre sinnlichen graugrünen Augen aber, die sanft schimmerten, waren nach vorne gewandt und blickten Dr. Hans Acula an, der weiterhin etwas über den überaus langweiligen Vorgang der Mitose erzählte. Nebenbei notierte sie sich das, was er sagte und wandte sich dann wieder den Worten des Lehrers zu. „Was für ein langweiliges Thema.“, dachte er noch im selben Moment, als sein Blick kurz nach vorne schweifte, dann konzentrierte er sich wieder auf Claudia.
    Ihr Mund war leicht geöffnet, was nichts anderes hieß, als dass sie dem Unterricht gebannt folgte. Sie schien überaus interessiert und wollte offenbar mehr erfahren. Dass sie von ihm beobachtet wurde, bemerkte sie nicht mal. Er konnte einfach nicht anders, wann immer er sie sah, vergaß er alles um sich herum, so auch dieses Mal. Sein Blick fixierte sich nun gänzlich auf jene Lippen, die ihn an rosa Blütenblätter einer geöffneten Blume erinnerten. Sie wirkten sanft und sinnlich und vollkommen ungeküsst. Sie waren schön anzusehen und…
    „Sissy!“, zischte es plötzlich von hinten. Chad zuckte zusammen. Hatte man etwa bemerkt, dass er Claudia angestarrt hatte? Er fühlte sich ertappt, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Zaghaft versuchte er, seinen Blick nun wieder auf Hans zu richten, der inzwischen ein paar Dinge auf der Tafel gesammelt hatte und die Schüler darum bat, diese abzuschreiben.
    „Hey, Sissy!“, wisperte es abermals. Chad wollte nicht reagieren. Wenn er dies täte, würden sie ihn nur weiter hänseln. Nicht, dass sie das nicht ohnehin schon taten, aber er hasste es einfach, wenn man ihn Sissy nannte! Und das nur, weil seine Initialien C.C. waren!
    Die Stimme meldete sich abermals, dieses Mal deutlich eindringlicher und fordernder. „Sissy!“
    „Nicht hinhören.“, ermahnte sich der Schüler in Gedanken. „Er will dich ganz sicher nur ärgern. Konzentriere dich auf den Unterricht!“ Zaghaft blickte er Hans an, der inzwischen etwas von einer Interphase erzählte. Er hatte keinen Plan, wovon der Typ da eigentlich sprach.
    „Hey, bist du taub?“ Etwas Hartes traf ihn am Hinterkopf. Sein Kopf ruckte leicht nach vorne. Genervt wandte sich Chad um und erblickte den Übeltäter. Es war niemand anderes, als Florian. Ein kräftig gebauter, aber strohdummer Bursche, der nichts Besseres zu tun hatte, als ihn zu ärgern. Schief grinste ihn der grobschlächtige Kerl mit dem schwarzen, gegelten Haar an. „Was ist?“
    „Hi.“
    Das war zu viel. Alle, die es bemerkt hatten, lachten schlagartig auf. Und Chad errötete. Mann, war das peinlich. Sein Blick ging nach vorne und er schaute nach, ob auch Claudia es bemerkt hatte. Sie hatte es. Noch in diesem Moment tuschelten sie und eine Freundin hinter vorgehaltener Hand und lachten einander kurz an. Chad war verletzt. Er senkte den Kopf und verschränkte die Arme. Es war eine überaus typische Körperhaltung für ihn.
    Hans aber, der Biologie und Philosophielehrer, hatte es bemerkt. Er lächelte ebenfalls, aber es war ein offenes, warmherziges Lächeln, ganz anders als das der meisten anderen Anwesenden, die sich nur über Chad lustig machten. Der Lehrer hatte kurzes, aber volles, graues Haar und ein Gesicht, welches von einzelnen Falten durchsetzt war, die von seinem Alter kündeten.
    Anders als das vieler anderer älterer Männer wirkte es aber nicht ernst, sondern zumeist heiter und fröhlich. Einen Augenblick später wirkte es aber überhaupt nicht mehr fröhlich, sondern streng und fordernd. Dominiert wurde sein Gesicht von einer rahmenlosen Halbmondbrille, die ihm einen überaus intelligenten Touch gab und durch die er den ungezogenen Schüler nun musterte. Unterstrichen wurde der erste Eindruck durch einen makellos reinen, weißen Arztkittel, den der Lehrer immer dann trug, wann immer er im Biologieraum war. Wie so oft kam Chad nicht umhin die Augen seines Lehrers zu betrachten. Er hatte geglaubt sie kurz aufglimmen zu sehen, aber das war gewiss nur ein Irrtum. Einen Augenblick zuvor waren sie nämlich nicht grünlich, sondern gelblich gewesen. „Seltsam.“, dachte er. „Hat das vielleicht etwas mit dem Licht zu tun?“
    „Florian“, sagte der Lehrer plötzlich mit ernster Stimme und faltete seine Hände zu einem Dach, welches er nach unten richtete. Der angesprochene Junge hob erstaunt den Kopf und wandte seinen Blick dem Lehrer zu, der ihn durch seine ungerahmten Halbmondgläser eindringlich musterte. „Würdest du bitte vom Stuhl aufstehen und mir kurz zuhören?“
    Florian legte ein schiefes Grinsen auf, was ihm etwas Verschlagenes und Verruchtes gab. „Gerne doch, Dr. Acula. Für sie tue ich doch alles.“, antwortete er und erhob sich, genauso wie es der Lehrer gewünscht hatte.
    „Danke.“, sagte der Lehrer und setzte plötzlich ein warmes Lächeln auf. Florian schwante Übles, wenn man seinem Gesichtsausdruck Glauben schenken durfte. „Das war es auch schon. Du kannst dich wieder hinsetzen. Setzen, sechs.“
    Abermals lachte die Klasse auf und nun war es Florian, der überrascht guckte und sich dann prompt wieder hinsetzte. Sowas hatte er auch noch nicht erlebt. Dr. Acula hingegen zwinkerte Chad kurz zu, bevor er sich wieder dem Unterricht widmete. Und auch er kam nicht umhin lächeln zu müssen. Zaghaft, aber immerhin, Chad lächelte.
    Der Rest der Stunde verlief ereignislos. Chad versuchte, dem Unterricht zu folgen und schaffte es, ein paar Dinge mitzuschreiben. Dass ihm Stoff fehlen würde, war ihm aber egal. Er war ohnehin schlecht in Biologie. Tiefer konnte er kaum noch sinken. Sollte er ruhig noch weiter absacken. Dies war das erste Halbjahr, also konnte es ihm noch relativ egal sein, was aus seiner Biologie Note werden würde.
    Er wollte gerade aufstehen, als er plötzlich hörte, wie Dr. Acula nach ihm rief. „Chad? Könntest du bitte kurz warten? Ich muss ein paar Dinge mit dir besprechen.“
    Einige Schüler begannen aufgeregt zu tuscheln, während sie hinaus gingen. Gewiss würde man wieder hinter vorgehaltener Hand über ihn lästern, so wie sonst auch. Er hasste sein Leben. Sehr sogar.
    Chad seufzte auf. „Geht in Ordnung. Ich hatte heute eh nichts vor, warum also nicht warten?“
    „Danke.“, entgegnete Hans vollkommen aufrichtig. „Ich bin froh, dass du das so siehst.“ Er wandte sich um und legte dem hinausgehenden Florian die Hand auf die kräftige Schulter. „Und du bleibst kurz stehen und wartest bitte einen kurzen Moment. Ich möchte kurz etwas mit dir durchsprechen.“
    Der Schüler gehorchte. Er konnte auch gar nicht anders. Neugierig blickte er zwischen Chad und Dr. Acula hin und her. Der Schalk glomm in seinen blauen Augen auf. Er wusste zwar nicht, was hier vor sich ging, aber offenbar versprach es spannend zu werden.
    „Warum tust du das, Florian? Warum ärgerst du den armen Chad?“
    Der Angesprochene zuckte mit einer Schulter. „Weiß ich doch nicht.“
    Dr. Acula schüttelte den Kopf. „Du glaubst selbst doch kein Wort von dem, was du da gesagt hast. Du solltest ihm das Leben nicht noch weiter unnötig erschweren, weil er es ohnehin schon nicht leicht hat. Das weißt du doch.“
    Langsam nickte Florian. Er gab vor zu verstehen, aber innerlich ärgerte sich Chad. Das Verhalten dieses Idioten war doch nichts anderes, als eine Farce! Er tat dies nur, um Hans ruhig zu stellen. Kurz wanderte sein Blick zu Dr. Acula rüber und dachte sich: „Du wirst doch wohl nicht auf diese Schmierenkomödie reinfallen… oder etwa doch?“
    Chad war sich unsicher, ob Hans verstand, was hier vor sich ging, schwieg aber lieber, um unliebsamen Besuch durch Florian vorzubeugen.
    „Florian…“, begann Dr. Acula langsam und blickte den Angesprochenen ernst an. “Du und ich, wir wissen beide, dass du dich bessern solltest, aber wie es scheint, liegt die Besserung in weiter Ferne, denkst du nicht auch so, oder siehst du das etwa anders?” Abermals durchbohrte der Blick des Lehrers den Schüler. Hätte Chad einen solchen Blick abgekommen, er hätte sich noch mulmiger gefühlt, als ohnehin schon.
    Es war ein starrer, eiskalter Blick, den man so gar nicht von diesem Mann kannte, der sonst so freundlich war.
    „Nein, Sir.“, murmelte Florian zaghaft und senkte den Blick. Er schien aufzugeben. „Wird nicht wieder vorkommen. Ehrlich.“
    Hans seufzte auf. Sein Blick wirkte enttäuscht. Es war offensichtlich, dass er den Worten des Schülers abermals keinen Glauben schenkte. Und das bestimmt auch mit gutem Grund, denn Dr. Acula schien immer zu wissen, wann jemand ihn anlog.
    „Florian“, sagte er und deutete zeitgleich mit dem Zeigefinger auf den Ausgang. „so kann es wirklich nicht weiter gehen. Geh jetzt. Du wirst hier nicht mehr gebraucht.“
    Erleichtert packte den Schüler seinen Ranzen und schulterte ihn sogleich. Er warf Chad ein fieses Grinsen zu, bevor er sich zum Gehen wandte. Dabei legte er großen Wert darauf, dass Hans es nicht bemerkte. Kaum, dass er aber im Türrahmen stand, wandte sich Hans erneut an ihn. „Ach, noch etwas. Weder du, noch ich wollen, dass du eine sechs bekommst, nicht wahr? Ich biete dir an, den Stoff dieser Stunde zu Beginn der nächsten vorzutragen. Bringst du eine gute Leistung, dann vergessen wir die Sache, einverstanden?“
    „Geht klar.“, meldete sich der Schüler erfreut zu Worte, ehe er die Tür geräuschvoll hinter sich schloss und verschwand. Kaum war das Schloss eingerastet, schon seufzte Chad auf und ließ die Schultern hängen.
    Chad war leicht enttäuscht. Dr. Acula hatte es dem Schüler leichter gemacht, als er es getan hätte. Wäre er an seiner Stelle gewesen, er hätte dem Mistkerl eine Abreibung verpasst. Zornig blickte er auf die Tür, ehe er sich dem Lehrer zuwandte. „Sie wollten mich sprechen?“, fragte er zögerlich. Die Stimme klang leise und schwach. Wie immer, wenn er mit anderen Menschen sprach.
    „Es ist nicht besser geworden, was?“, erkundigte sich der Lehrer plötzlich und musterte den Jungen durch seine Halbmondbrille. Er war ein wirklich seltsamer Anblick, wie er da so mit verschränkten Armen stand. In sich gekehrt und introvertiert.
    Der Junge wirkte schwach, was wohl an seiner dürren Figur, aber auch an seiner blassen Hautfarbe lag, die deutlich von seinem struppigen, blonden Haar unterstrichen wurde. Die Haare waren mittellang, zerzaust und verwildert, aber vor allen Dingen waren sie ungepflegt. Kein sonderlich schöner Anblick, wenn man es sich recht überlegte. Aber wieso sollte man sich auch pflegen, wenn man keine Freunde hatte, oder sonstige soziale Kontakte?
    Mitleidig begutachtete der Lehrer den Jungen von oben bis unten und beobachtete, wie Chad den Kopf senkte. „Das heißt wohl Ja.“, fasste der Lehrer seinen Eindruck kurz und knapp zusammen. „Und du willst immer noch nicht recht aufpassen, nicht wahr? Ich opfere doch bereits meine Freizeit für dich, indem ich dir Nachhilfestunden gebe und ich kann auch nicht noch nachsichtiger mit dir umgehen, weil das wäre eindeutig der falsche Weg.“
    Der Blick des Jungen senkte sich immer weiter gen Erdboden. Kein gutes Zeichen. Er hielt es anscheinend für das Beste zu schweigen, also übernahm er wieder das Wort.
    „Wir beide wissen, dass du nicht auf den Kopf gefallen bist, aber du bist, ich kann es wirklich nicht anders sagen, einfach zu faul.“
    Chad zuckte mit den Achseln. Die Beine waren verschränkt und zeigten zur Tür, es war offensichtlich, woran er gerade dachte. „Bio ist halt einfach nicht mein Ding.“
    Dr. Acula grinste. „Dann muss ich dir wohl weiterhin Nachhilfe geben. Aber nimm dir ruhig deine Sachen und geh, ich habe noch ein paar Dinge zu tun. Außerdem scheinst du eh keine Lust mehr zu haben, mit mir zu reden. Wir sehen uns dann später bei der Nachhilfe.“
    Darauf hatte Chad gewartet. Beinahe ebenso schnell wie Florian, griff er sich seine Sachen und hastete zum Ausgang. Sein Gang war normalerweise langsam und schlurfend, dieses Mal war er zwar nicht sonderlich eleganter, aber dafür umso schneller. „Ach, warte noch einen Moment.“, rief der Lehrer plötzlich aus, als habe er etwas vergessen. Chad drehte sich um und blickte zurück. Hans lächelte ihn zaghaft an und seufzte kurz auf. „Pass gut auf dich auf und nimm dir nicht so zu Herzen, was dir die anderen antun, ja?“
    Chad seufzte auf. „Klar doch.“, murmelte er. „Als hätte ich da eine Wahl.“
    Langsam schloss sich die Tür hinter ihm. Der Lehrer aber blickte ihm noch kurz hinterher und schüttelte dann leicht den Kopf. Er nahm seine Aktentasche und räumte alle Sachen zusammen, ehe er sich dann ebenfalls auf den Weg machte, um sich in sein Büro zu begeben. Es wurde Zeit für eine Tasse Tee, die hatte er sich jetzt nämlich redlich verdient.
    Last edited by PetrusII; 17.08.2010 at 02:25.





    Das Wesen der Idee - Es geht weiter

    "Nur wer das Spiel mit dem Feuer nicht beherrscht, verbrennt sich die Finger."



  2. #2
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    Default AW: Das Wesen der Idee

    Ein schöner lange Anfang *g*
    Teile davon kannte ich ja schon, auch wenn du hier und da auch nochmal Änderungen vorgenommen hast, die ich aber, soweit sie mir direkt auffielen, gut fand. Atmospährisch aus meiner Sicht gut gelungen und man hat schonmal eine gewisse Übersicht über Chads Situation und Umgebung.
    Der Hans ist natürlich auch schick
    Fehler, die mir aufgefallen sind, habe ich dir ja schon mitgeteilt, bleibt mir also nur darauf zu warten, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird

  3. #3
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    Default AW: Das Wesen der Idee

    was hat der teil am anfang mit der geschichte zu tun?
    oder soll des gar nich zusammen gehören
    und is die geschichte frei erfunden oder teilweise wahr

  4. #4
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    Quote Originally Posted by Souldragon View Post
    Ein schöner lange Anfang *g*
    Teile davon kannte ich ja schon, auch wenn du hier und da auch nochmal Änderungen vorgenommen hast, die ich aber, soweit sie mir direkt auffielen, gut fand. Atmospährisch aus meiner Sicht gut gelungen und man hat schonmal eine gewisse Übersicht über Chads Situation und Umgebung.
    Der Hans ist natürlich auch schick
    Fehler, die mir aufgefallen sind, habe ich dir ja schon mitgeteilt, bleibt mir also nur darauf zu warten, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird
    Das kommt zwar etwas spät, aber vielen Dank für deine Korrekturen und den Kommentar. ^^

    Ich komme in letzter Zeit einfach kaum zum Schreiben, aber dafür habe ich ganz andere Sachen zu tun, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen. Ich will versuchen jeden Sonntag ein wenig was zu tippseln, aber die Abschnitte werden dafür nicht sonderlich lang sein. Kann also sein, dass sich die Sache immer etwas hinziehen wird, aber ich will mich bemühen so viel es geht zu posten. ^^

    Quote Originally Posted by killerbee View Post
    was hat der teil am anfang mit der geschichte zu tun?
    oder soll des gar nich zusammen gehören
    und is die geschichte frei erfunden oder teilweise wahr
    Der Anfang ist ein Prolog. Er dient zum Einstieg und soll zum Nachdenken anregen, außerdem erhält er noch eine tiefere Bedeutung. Solltest du weiterlesen, könntest du eventuell herausfinden, was er bedeutet, aber mehr will ich nicht verraten.

    Die Geschichte ist von mir geschrieben und somit rein fiktiv. Aber jede Geschichte ist eine Wahrheit, weil sie das wiederspiegelt, was manch ein Mensch in der Welt zu sehen glaubt. Dies muss nicht die Meine sein, aber diese Frage ist auch völlig ohne Bedeutung. Ich schaffe hier eine Welt, wie sie wirklich existieren könnte, wenn die Voraussetzungen gegeben wären aber das wirst du schon noch sehen, weil diese Geschichte enthält viel Wahres und dennoch eine kräftige Portion Unwahrheit. Diese beiden Dinge voneinander zu trennen, das ist die Kunst, wenn man eine Geschichte liest und sich innerlich mit ihr beschäftigt.
    Es gibt nur wenige Dinge, die mehr von der Wahrheit zeigen, als ein zerbrochener Spiegel, oder ein unkenntlich gemachtes Spiegelbild es können und das wird diese Geschichte auch beweisen. Dessen bin ich mir sicher.

    Kapitel 2

    Kaum war das Schloss eingerastet, schon schnaufte er verächtlich auf. „Hilfe?“, dachte er. „Ich brauche keine Hilfe, ich brauche ein Wunder.“
    Langsam schlenderte er den Korridor entlang. Der Gang war lang und schön anzusehen. Links von ihm waren etliche Fenster zu sehen, die es ermöglichten, einen Blick nach draußen auf die Parkanlage zu werfen, die den Mittelpunkt der Schulanlage bildete. Etliche Schüler tummelten sich dort, liefen die sorgsam angelegten Wege entlang und tauschten sich miteinander aus. Lachten und freuten sich ihres Daseins. Die Sonne strahlte von einem klaren blauen Himmel herab, der nur von wenigen weißen Wolken gesäumt war, die in der sanften Brise langsam voran trieben. Manch einer, der gerade frei hatte, las ein Buch und hatte sich dazu auf eine der weißen Holzbänke hingesetzt, die hier und dort in der Anlage zu finden waren. Andere hörten auch wohlklingende Musik und hatten sich auf den tiefgrünen Rasen der Anlage gelegt, wo sie den Lauf der Wolken verfolgten, während sie im saftig wirkenden Gras ihre Glieder von sich streckten.
    Zweifelsohne ein wunderschöner Anblick und doch war er dessen überdrüssig. Er vermochte diese Schönheit nicht mehr zu würdigen, zu lange hatte er sie ertragen müssen, denn seit er klein war, hatte er hier sein Dasein gefristet. Er war ein Waise, der seine Eltern schon vor langer Zeit verloren hatte und daher sein Dasein im Internat fristen musste. Und weder die farbenprächtigen Tulpen, noch die lachenden Schulkameraden vermochten es, sein Herz zu erweichen, außer wenn es darum ging, Neid zu empfinden.
    Anders als die meisten Schüler zog er nämlich stets alleine umher. Die echoenden Gänge, die erfüllt waren vom Lachen, den Stimmen und den trippelnden Schritten zahlreicher Schüler, wirkten zu makellos und rein, als das man sie als real hätte bezeichnen können. Vollkommen weiß waren die Wände und kristallblau die Fliesen, die den gesamten Boden wie das Wasser eines Flusses überschwemmten. Sie wirkten fremd und fern als wären sie nicht Teil seiner Welt.
    Gelegentlich warf er mal einen Blick nach draußen, dann schüttelte er betrübt, ja beinahe traurig den Kopf und schaute sich wieder im Korridor um. Manchmal blickte er auch den Mitschülern neidisch hinterher, weil er sich nichts anderes wünschte, als an ihrer Stelle zu sein. Dennoch ließ er sich nichts anmerken und bemühte sich einen teilnahmslosen Ausdruck zu wahren, was ihm auch gut gelang. Denn Erfahrung hatte er damit genug. Der Kopf war gesenkt, die Körperhaltung gebeugt und die vor der Brust verschränkten Arme taten das Ihrige. Man musste kein Experte sein, um zu erkennen, dass er ein verschlossener Mensch war. Schlurfend und leicht tapsend glitt er gen Ausgang.
    Plötzlich läutete es. Die Pause war vorbei und etliche Türen, die auf der rechten Seite des Ganges zu finden waren, öffneten sich und boten Heerscharen von Kindern die Möglichkeit einzutreten, um erneut am Unterrichtsgeschehen teilzunehmen. Er aber hatte seine letzte Stunde hinter sich. Sollten sich die anderen ruhig abrackern, er würde… Ja, was würde er eigentlich?
    Er runzelte die Stirn. Unsicher zupfte er an seiner Jeans herum. Er wusste nicht, was er tun sollte, geschweige denn wollte. Die Schule war zwar langweilig, aber immerhin beschäftigte sie ihn, wenn auch nur vormittags. Hausaufgaben wollte er auch nicht machen und einen von vielen Kursen besuchen, die die Schule anbot, war ihm zu anstrengend. Wozu sollte er sich solchen Dingen zuwenden, wenn er dafür doch eh nur Spott und Hohn von den anderen erntete?
    Chad seufzte und strich sich mit der Hand durch das widerspenstige blonde Haar am Hinterkopf, das sich anfühlte, wie trockenes Stroh. Ein deutliches Zeichen seiner Scham, die mit dieser Geste offenkundig wurde. Zu gut erinnerte er sich an seinen zaghaften Versuch, den Volleyball Kursus zu belegen: Ein Desaster.
    Damals hatte er noch Hoffnung auf Besserung gehabt, außerdem war Claudia Mitglied des Kursus, warum sollte er es also nicht versuchen? Das waren zumindest seine Gedanken gewesen, aber die zahlreichen Schüler, die ihn ausgelacht und mit den Bällen – trotz des protestierenden Sportlehrers – abgeworfen hatten, waren ihm Lektion genug gewesen um es nicht mehr auf einen zweiten Versuch ankommen zu lassen. Chad hasste diese Schule und vor allem hasste er ihre Schüler, die ihn nicht akzeptieren wollten.
    Chad zog an der Tür und öffnete sie, dann schritt er hinaus, die marmornen Stufen hinab.
    Nun war auch er draußen angekommen. Das Wetter war blendend. Draußen war es sogar noch schöner, als er anfangs geglaubt hatte. Einige wenige Schüler, die sich noch nicht zu ihren AGs begeben hatten, tummelten sich hier.
    „Hey, Sissy!“, rief plötzlich jemand fröhlich pfeifend und haute ihm kräftig auf die Schulter. Chad zuckte zusammen. Der Hieb kam unverhofft und plötzlich. Und er schmerzte, beinahe so sehr wie die Blöße, die er sich gegeben hatte. „Wer…?“, dachte er und drehte sich um.
    Sein Blick verfinsterte sich beinahe augenblicklich. Ein blonder Junge namens Ralf, der eine Klasse unter ihm war, aber dennoch die Frechheit besaß, ihn ständig mobben zu wollen, grinste ihn an. Sein Haar war eine dieser typischen Modefrisuren, wie sie wohl jeder trug, wenn er mittellanges Haar besaß. Trotz der etlichen Haare, die seine Stirn säumten, konnten sie nicht die auffälligen dunklen, aber auch buschigen Augenbrauen verbergen, die sein keckes Grinsen unterstrichen. Er war schlank, aber auch nicht sonderlich groß. Zumindest nicht wesentlich größer, als Chad es war, dafür aber umso nervtötender.
    „Was willst du denn schon wieder?“, giftete Chad ihn sogleich an.
    „Ich?“, fragte Ralf und tat so als würde er überlegen. Als habe er einen Einfall gehabt, schwand der nachdenkliche Ausdruck aus seinem Antlitz. „Ich begrüße dich und rufe dich bei deinem Namen. Ist das denn so schlimm?“
    „Ja, das ist es. Du nervst.“, entgegnete Chad, der leise mit den Zähnen knirschte. Ralf wusste ganz genau, dass seine bloße Anwesenheit, ja sogar der Spitzname Sissy ausreichten um Chad zur Weißglut zu bringen.
    „Bist wohl wieder auf den Weg zum Internat, was?“, fragte Ralf keck. „Hast ja auch nichts Besseres zu tun, oder? Also ich für meinen Teil gehe jetzt nach Hause, wo meine Familie auf mich wartet. Bis dann, Sissy!“
    Das saß. Chad, der weder Freunde, noch Familie hatte, wandte sich ab. Er wollte mit diesem Idioten kein weiteres Wort mehr sprechen. Nur mit Mühe konnte er sich noch kontrollieren. Die Augen waren feucht und die Fäuste geballt. Aus den Augenwinkeln heraus registrierte er, wie sich Ralf zu seinen Freunden begab und diese schallend lachend davon gingen. Er kannte ihre Gesichter gut; täglich musste er sie sehen, wann immer sie sich über ihn lustig machten. Und das war nicht gerade selten. Würde er noch ein weiteres Wort hören, er müsste sich auf diesen Vollidioten stürzen, ganz gleich welche Folgen dies haben mochte. Hastig, aber nicht rennend, lief er davon.
    Last edited by PetrusII; 05.09.2010 at 18:53.





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  5. #5
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    so ein armer kerl^^
    aber in echt is es nich ganz so
    zumindest nich bei uns an der schule
    es gibt zwar aussenseiter aber selbst die haben dann ne gruppe
    is dann halt die gruppe der aussenseiter^^
    ansonsten kann ich nur sagen du bistn talent beim schreiben

  6. #6
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    Das mit dem verringerten Posttempo kann ich gut nachvollziehen, bin da ja nicht besser *g* Muss mich auch mal wieder ransetzten^^

    Der Teil war ganz schick soweit und die Formulierung "kristallblau die Fliesen, die den gesamten Boden wie das Wasser eines Flusses überschwemmten." gefiel mir besonders^^ Mag ich irgendwie besonders.
    Beim Anfang war ich aber etwas verwirrt, da ich Hans immer noch für den Sprecher hielt, obwohl die Perspektive zu Chad gewechselt hatte. Hab auch ein paar Zeilen gebraucht, ehe ich es begriffen hatte. Ich denke aber, dass liegt jetzt auch mit an der Aufteilung auf zwei Posts (Ende Kap1 und Anfang Kap2) und es ist im zusammenhängenden Text deutlicher.

  7. #7
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    Quote Originally Posted by killerbee View Post
    so ein armer kerl^^
    aber in echt is es nich ganz so
    zumindest nich bei uns an der schule
    es gibt zwar aussenseiter aber selbst die haben dann ne gruppe
    is dann halt die gruppe der aussenseiter^^
    ansonsten kann ich nur sagen du bistn talent beim schreiben
    Die Realität ist natürlich ein wenig anders und das weiß ich auch, aber warte doch erst mal ab, bis sich die Geschichte etwas weiter entfaltet hat, dann wird das Bild, was ich zeichnen möchte, vielleicht etwas deutlicher.

    Danke dir. =)

    Quote Originally Posted by Souldragon View Post
    Das mit dem verringerten Posttempo kann ich gut nachvollziehen, bin da ja nicht besser *g* Muss mich auch mal wieder ransetzten^^

    Der Teil war ganz schick soweit und die Formulierung "kristallblau die Fliesen, die den gesamten Boden wie das Wasser eines Flusses überschwemmten." gefiel mir besonders^^ Mag ich irgendwie besonders.
    Beim Anfang war ich aber etwas verwirrt, da ich Hans immer noch für den Sprecher hielt, obwohl die Perspektive zu Chad gewechselt hatte. Hab auch ein paar Zeilen gebraucht, ehe ich es begriffen hatte. Ich denke aber, dass liegt jetzt auch mit an der Aufteilung auf zwei Posts (Ende Kap1 und Anfang Kap2) und es ist im zusammenhängenden Text deutlicher.
    Super, danke dir. ^^ Freut mich, dass du Gefallen an diesem Text hast. Ich muss dich aber warnen, weil ich dieses Mal abermals das neue Kapitel in einer neuen Perspektive geschrieben habe.

    Hat zwar knapp einen Monat gedauert, dass ich mal wieder was schreiben konnte, aber heute war ich mal richtig in Schreibstimmung, weswegen ich nicht anders konnte, als mich an diese Geschichte ranzusetzen und ein neues Kapitel fertigzustellen. Ich hoffe, es gefällt euch. ^^

    Kapitel 3

    „Pfui Deibel!“, spie er aus. Die Mundwinkel verzogen sich und zeugten von der Abscheu, die ihn in diesem Moment durchfuhr; er legte eiligst die Tasse beiseite, griff dann hastig nach dem weißen Porzellangefäß rechts neben ihm, nahm den Deckel ab, legte ihn beiseite und förderte dann exakt drei Stücke Würfelzucker zu Tage, die er allesamt mit einer anmutigen Bewegung in die Tasse mit dem Heißgetränk warf. Einzelne Tropfen des grünen Tees spritzten auf und stürzten dann wie Raketen auf die Oberfläche des Tees, durchbrachen sie und tauchten in jene kochende Flüssigkeit ein. Kleine Kreise begannen sich auf der grünen Oberfläche zu bilden, die immer wieder gegen die Wand aus Porzellan liefen und davon reflektiert wurden. Es war ein geradezu alltäglicher Anblick, den er aber jedes Mal aufs Neue genoss.
    Kurz verfolgten seine durch die Brillengläser blitzenden Augen den Verlauf der Wellen, dann griff er nach dem silbernen Löffel, der sich auf dem Unterteller der Tasse befand, und verrührte den Zucker im Tee. Schnell, beinahe hastig, ließ er das Stück Metall im Kreise fahren, ehe er einen Moment inne hielt und von seiner Tasse zur Uhr an der Wand aufsah. Kurz nippte er am grünen Gebräu, nickte anerkennend und stellte es beiseite.
    Tee war wirklich ein wundervolles Getränk. Und er war ein ungemein beruhigender Wirkstoff, der ihm half, seine Stimmung zu beruhigen und auch Chads Verspätungen zu akzeptieren, obwohl er sich dieses Mal sogar noch mehr als sonst verspätete. Der Lehrer lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Augenblicklich wurde der Winkel, den die Lehne mit dem Boden zusammen beschrieb, quietschend kleiner.
    Dr. Acula seufzte auf und schüttelte den Kopf. Unentwegt pochten seine Finger auf die Lehne seines schwarzen Ledersessels. Er wartete. Ein weiterer Blick zur Uhr folgte. Es war bereits elf Minuten nach fünf. Und er kam wieder zu spät. Wie immer.
    Kurz verzog Hans das Gesicht, dann strich er sich nachdenklich mit der Linken übers Kinn. Langsam ließ er seine Fingerkuppen über jeden einzelnen der weißen Bartstoppel in seinem Gesicht fahren. Er hätte sich heute Morgen rasieren sollen, dachte er kurz für sich und betrachtete die Finger seiner rechten Hand, die in einem nicht vorgeschriebenen Takt auf die Armlehne pochten. Es war ein schöner Sessel, stellte er abermals für sich fest. Perfekt geradezu für dieses Büro, das er schon seit etlichen Jahren sein Eigen nannte. Vor ihm stand ein gewaltiger Schreibtisch, der mit etlichen Zetteln und Schreibutensilien übersät war, die er absichtlich dahin positioniert hatte, damit jeder glaubte, er wäre ein vielbeschäftigter Mann. Oft hatte er erlebt, dass er so einen bleibenden Eindruck bei seinen Gästen hinterließ.
    Meist würzte er das Bild noch mit einigen weiteren pikanten Details, beispielsweise liebte er es, Werke wie „Also sprach Zarathustra“ oder aber Wittgensteins „Tractus Logico Philosophicus“ exakt so zu positionieren, dass es den Anschein hatte, als würde er sie alle gleichzeitig lesen. Dies erreichte er, indem er sie entweder offen auf dem Schreibtisch liegen hatte, oder zahlreiche Lesezeichen hineinlegte. Dass er diese und viele weitere Bücher bereits vor etlichen Jahren, ja sogar Jahrzehnten durchgelesen und mit ihnen abgeschlossen hatte, musste ja keiner, außer ihm, wissen.
    Weiterhin besaß er eine Vielzahl an Bücherregalen, die mit etlichen Werken aller Zeitepochen gefüllt war. Ganz gleich ob klassische Literatur, Science Fiction, Fantasy, oder aber wissenschaftliche Abhandlungen, er besaß alles, was man als lesenswert betrachten mochte, oder zumindest war er nahe dran. Dass er nicht mal die nötige Zeit aufbrachte, sie alle zu lesen, war natürlich klar, wenn man eine derartig gewaltige Bibliothek vorzuweisen hatte. Abgerundet wurde das Bild des heimischen Büros eines pseudointellektuellen Doktors durch eine Vielzahl an uralten Gemälden diverser Persönlichkeiten, die wohl keiner kannte, aber allesamt eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit miteinander besaßen. Hinter seinem Rücken und zeitgleich hinter dem Schreibtisch hingen etliche Urkunden und Zertifikate, die er für seine herausragenden Leistungen erhalten hatte. In der Ecke aber standen zwei Sessel, eine Couch und ein runder Tisch, der es ermöglichte, dass man ein Gespräch auf gleicher Ebene führen konnte. Denn schon früh hatte er bemerkt, wenn er sich mit seinen Studenten als Vertrauenslehrer zusammen setzte und über ihre Probleme redete, dass die Kommunikation nicht so schleppend verlief wie von Angesicht zu Angesicht an seinem eigenen Schreibtisch. Hans glaubte nämlich, dass dieser Tisch eine Barriere bildete, die den Aufbau von Vertrauen zueinander derartig einschränkte, dass es notwendig war, andere Mittel zu nutzen, um den Prozess zu erleichtern.
    Wollte er aber seine Schüler rügen, dann nahm er mit dem Schreibtisch vorlieb. Dass der unbedarfte Schüler dadurch einen perfekten Blick auf die Diplome und Urkunden des Lehrers hatte, war natürlich beabsichtigt. All dies waren psychologische Tricks und Kniffe, die dem Gast deutlich machen sollten, wer hier der Ranghöhere war und auch zeitgleich die Wirkung des Gesagten deutlich verschärften. Damit aber nicht genug, denn auch der kleinere Stuhl, den der Gast einnehmen musste, wenn er sich gegenüber von Hans hinsetzen wollte, verstärkte diesen Eindruck und hob den Status von Dr. Acula an, da die Lehne wesentlich niedriger war, als die von Hans Drehstuhl und den dort Sitzenden somit um etliches kleiner wirken ließ als es eigentlich der Fall war.
    Hätte er dies einer fremden Person, die noch nie in seinem Büro war, erklären wollen, dann hätte sie ihn bestimmt für verrückt erklärt, aber der Erfolg gab ihm recht und sein Ruf als hervorragender Lehrer bestärkte ihn darin, dass er die Sache richtig anging. All diese Methoden funktionierten prächtig und weil er ein solch hervorragender Menschenkenner war, war es ihm auch stets ein Leichtes gewesen, sich jeder gegebenen Situation anzupassen.
    Hans lächelte, als er darüber nachdachte. Er nippte kurz an seinem grünen Tee und seufzte zufrieden. Die Temperatur war ideal und das Aroma hatte sich voll entfaltet. Etliche Jahre war es nun her, dass er hier an der Schule angefangen hatte und zum Lehrer geworden war und immer hatte er Tee getrunken. Immer. Er liebte dieses Getränk, weil es ständig eine neue Facette gab, die er daran entdecken konnte. Plötzlich klopfte es an der Tür. Zwar nur leise, aber immer noch hörbar.
    „Na endlich.“, dachte er. „Da ist Chad ja endlich. Wird auch langsam Zeit.“
    Kurz stellte er die Tasse beiseite, dann erhob sich der alte Mann von seinem Lehnstuhl und eilte zur Tür. Abermals klopfte es. Die Person, die auf ihn an der Tür wartete, hatte es offenbar eilig. Dennoch wirkte das Klopfen irgendwie schüchtern. War dies wirklich Chad? Hans war sich unsicher. Er legte die Hand auf die Türklinke, drückte sie herunter und öffnete die Tür. Ein freundliches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er den Gast in Empfang nahm. „Hey, Chad. Da bist du ja endlich, ich habe schon ewig auf dich… – Oh!“
    Plötzlich wurde sich der Lehrer seines Fehlers bewusst. Kurz wich das Lächeln einem Ausdruck der Überraschung, der aber schnell einem freudigen Glanz in den Augen Platz machte. Vor ihm stand nämlich nicht Chad, sondern jemand völlig anderes: Alina – eine Schülerin, die ebenfalls an seinem Biounterricht teilnahm und zeitgleich auch seine Dienste als Vertrauenslehrer und inoffizieller Seelendoktor der Schule beanspruchte.
    „Das ist ja eine Überraschung.“, sagte er sanft. „Alina, was kann ich denn heute für dich tun?“
    „Nun…“, murmelte sie zaghaft. Abermals bemerkte Hans, wie schüchtern und introvertiert sie doch war. „Ich habe sie fragen wollen, was wir nochmal in Bio aufhatten, ich habe es nämlich schon wieder vergessen.“
    „Ach Alina.“, schmunzelte Hans. „Schon wieder?“
    „Jaaaaaaah.“, erwiderte sie und lächelte ihn an. Kurz lief ihm ein Schauder über den Rücken, denn er glaubte, dass etwas nicht mit diesem Ausdruck in ihrem Antlitz stimmte. Es war nicht so, als wolle sie ihn betrügen, oder anlügen, sondern vielmehr wirkte das Lächeln gekünstelt, aufgesetzt, geradezu unwirklich. „Als wolle man einer Puppe beibringen zu lächeln, indem man ihr mit einem Messer in ihre Plastikhaut ritzte.“, dachte sich der Lehrer. „Sekunde. Ich schaue mal kurz nach, in Ordnung? Komm ruhig rein und nehme Platz, während ich nach dem Arbeitsblatt suche.“
    Alinas Lächeln war schon eine Weile von ihrem Antlitz verschwunden, als ihre grünen Augen, die mit goldenen Sprenkeln versetzt waren, die Luft durchbohrten. Gläsern ruhte ihr Blick nun plötzlich auf Dr. Acula, dann nickte sie knapp. „Ja, geht in Ordnung.“
    Sie nahm ihre Tasche, die sie unten auf den Boden abgestellt hatte, schulterte diese und trat ein in Dr. Aculas Reich. Nicht einen Blick schenkte sie der mühevoll errichteten und wohldurchdachten Einrichtung, dafür war sie schon viel zu häufig hier gewesen.
    Fast lautlos fiel die Tür ins Schloss, dann eilte Hans zum Schreibtisch und öffnete eine Schublade, die mit etlichen penibel und wohlgeordneten Inhalten gefüllt war. Es waren wohlsortierte Arbeitsblätter und Unterrichtsinhalte, aber auch vieles mehr, beispielsweise Steuererklärungen und anderer Kram, den man behüten und archivieren musste, wenn man ein geordnetes Leben führen wollte. Alina hatte es sich in der Zwischenzeit auf einem der zwei Sessel gemütlich gemacht und schaute sich nun doch mit ausdrucksloser Miene im Raum um.
    Dr. Acula wollte es sich zwar nicht eingestehen, aber es war ihm unangenehm, dieses Mädchen hier zu haben, weil sie etwas hatte, das selbst ihn schaudern ließ. Sie war … seltsam. Keiner wusste das so gut wie er und es war auch gut so, dass nur er davon wusste, obgleich auch die übrigen Schüler ahnten, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Für ihn war es kein Wunder, dass sie ein Außenseiter war.
    „Ah, da haben wir es ja.“, rief Dr. Acula plötzlich erleichtert aus. „Du hast Glück, ich habe noch eine weitere Kopie übrig.“ Er lief zu Alina und reichte ihr das Arbeitsblatt der letzten Stunde. „Pass gut darauf auf, weil ich kann dir nicht immer den Tag retten, ja?“, scherzte er und zwinkerte ihr freundlich zu.
    „Danke.“, entgegnete Alina mit tonloser Stimme und erhob sich, als sie den Zettel in Empfang genommen hatte, vom Sessel.
    „War es das soweit?“, fragte Dr. Acula noch kurz und nickte dabei kaum merklich mit dem Kopf. Ein alter Trick, den er immer wieder gerne anwendete, um anderen eine Antwort zu suggerieren und vorzugeben.
    Kurz dachte Alina nach, dann nickte auch sie mit dem Kopf und beantwortete die Frage mit einem knappen „Ja“, ehe sie sich zur Tür umwandte. „Gut, freut mich, dass ich dir helfen konnte.“, erklärte Dr. Acula erfreut und reichte ihr die Hand. Kurz ruhte diese in der Luft, denn Alina zögerte offenbar, sie zu ergreifen und zu schütteln. Kurz glaubte Hans eine Abneigung in ihren Augen zu lesen, dann aber überwand sie offensichtlich den inneren Widerstand und schüttelte seine Hand. Es war eine knappe und schwächliche Bewegung, die auf einen entweder sehr schüchternen Charakter oder eine Abneigung schließen ließ, womöglich auch beides, weil das Eine schloss das Andere nicht aus. Alina wollte nämlich nur so wenig Körperkontakt zu anderen Menschen haben wie möglich, dessen war sich Hans nur zu bewusst, darum brachte er sie immer wieder in solche Situationen, denn so lernte sie vielleicht, mit anderen Menschen umzugehen, obwohl er sich da nicht allzu viele Hoffnungen machte.
    Dann, ganz plötzlich, wandte sich Alina zur Tür und lief, schneller als sie vorhin reingegangen war, auf selbige zu. „Tschüss. Man sieht sich.“, sagte sie schnell und öffnete dann die Tür. Kaum hatte sie dies getan, stand vor ihr ein reichlich verdutzt wirkender Chad, der gerade die Hand erhoben hatte und im Begriff war, gegen die Tür zu klopfen und somit um Einlass zu bitten.
    „Hi!“, sagte er ganz verblüfft und musterte die Blondine vor ihm. Alina aber ignorierte ihn und lief an ihm vorbei. Nichts ließ erkennen, dass sie ihn wahrgenommen hatte.
    Dr. Acula hingegen schien hocherfreut, denn er strahlte übers ganze Gesicht.
    „Da bist du ja endlich!“, rief er aus. „Komm doch bitte rein. Wie du weißt haben wir beide eine Menge miteinander zu besprechen!“
    Zögerlich und mit einem flauen Gefühl im Magen betrat Chad den Raum.
    Last edited by PetrusII; 06.10.2010 at 06:31.





    Das Wesen der Idee - Es geht weiter

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  8. #8
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    Default AW: Das Wesen der Idee

    Schicker Teil. Die Gewohnheiten und Gedanken von Hans sind recht interessant. Auch schön zu sehen, wie seine Absichten dann gleich darauf von einem anderen Charakter großteils ignoriert werden^^ (auch wenn es vielleicht nur dran liegt, weil Alina schon oft da war).

    Mir sind aber ein paar Sachen aufgefallen
    stürzten dann wie Raketen auf die Oberflächenspannung des Tees, durchbrachen sie
    empfinde ich als recht seltsame Formulierung, etwas auf die Oberflächenspannung stürzen zu lassen.
    Kurz nippte er am grünen Gebräu, nickte anerkennend und legte es beiseite.
    Hier finde ich, würde "stellte" besser passen
    wenn er sich mit seinen Studenten als Vertrauenslehrer zusammen saß und über ihre Probleme redete,
    müsste in dem Satz "setzte" sein. Ansonsten musst du vorne ein bissel umändern^^
    und immer hatte er Tee getrunken. Immer. Er liebte dieses Getränk, weil es immer wieder eine neue Facette gab, die er daran entdecken konnte. Plötzlich klopfte es an der Tür. Zwar nur leise, aber immer noch hörbar.
    würde ich eventuell eine Alternative suchen, damit nicht soviel Immer hintereinander kommt
    „War es das soweit?“, fragte Dr. Acula noch kurz und schüttelte dabei kaum merklich den Kopf. Ein alter Trick, den er immer wieder gerne anwendete, um anderen eine Antwort zu suggerieren und vorzugeben.
    Kurz dachte Alina nach, dann schüttelte auch sie den Kopf und beantwortete die Frage mit einem knappen „Nein“,
    Müsste die Antwort nicht "Ja" lauten in dem Fall?

  9. #9
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    Was für ein Glück, dass die Kollegin die Hausaufgaben vergessen hat, sonst hättest du in diesem Teil garnix zu erzählen gehabt =D

  10. #10
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    Lange ist es her, dass ich das letzte Mal einen Text hier rein gestellt habe, aber inzwischen ist es mir gelungen, ein wenig zu schreiben, denn ich habe inzwischen wieder einige Ideen und konnte trotz Schule ein wenig Zeit finden, um zu schreiben, was mich auch sehr glücklich stimmt.

    Es ist schön, wieder im Business zu sein und ich hoffe sehr, euch gefällt das nun folgende Kapitel.
    Zukünftig will ich auch versuchen mehr zu schreiben und für regelmäßigen Nachschub zu sorgen, aber versprechen kann ich natürlich nichts.

    Kapitel 4

    Zögerlich sah sich der Junge um. Oft war er hier gewesen und nicht selten hatte er ein beklemmendes Gefühl empfunden, das sich stets an sein Herz geklammert hatte, sobald er den Raum betrat. Zahlreiche Sinneseindrücke flossen ihm dann immer zu und erschlugen ihn beinahe augenblicklich. Denn er fühlte sich stets so seltsam klein und minderwertig, wann immer er hier auftauchte. Die Einrichtung, so glaubte er, sei genau darauf ausgerichtet. Aber das war gewiss paranoid, daher verwarf er diesen Gedanken. Dennoch… Betrat man diesen Raum, dann erblickte man augenblicklich den überfüllten Schreibtisch mitsamt zweier Stühle – einem kleineren und einem größeren, die beide mit schwarzem Leder bespannt waren, sowie eine hohe Lehne und Rollen an den Füßen aufwiesen. Weiterhin fielen einem auch sofort die Urkunden und Auszeichnungen des Doktors auf, obwohl man sie von hier aus nicht wirklich lesen konnte, denn dafür waren sie viel zu weit weg. Gewiss dienten sie einzig…
    „Etwas Tee?“, fragte der freundliche Lehrer schnell und ließ den abgelenkten Chad leicht aufschrecken. Verwirrt blickte er den Lehrer an, sog etwas Luft durch die Nase ein und nickte dann - kurz aber deutlich. Hans machte sich nichts daraus, dass der Junge sich so ausgiebig umsah. Er schien es nicht mal zu bemerken und wandte sich stattdessen dem grünen Tee zu. Goss ihn in eine Tasse und stellte ihn mitsamt eines Tablettes auf den runden Tisch in der Ecke, wo er auch bereits einige Plätzchen vorbereitet hatte.
    Chad, der sich währenddessen weiterhin umblickte, bemerkte schnell, dass Dr. Acula immer noch Nietzsches Zarathustra las und kein Stück voran gekommen zu sein schien. „Sie lesen das Buch schon ziemlich lange, finden sie nicht?“, fragte er und deutete auf das gemeinte Stück Literatur, um die anfängliche Stille zwischen ihnen zu durchbrechen. Denn er hasste Stille; sie bedrückte seinen Gemütszustand jeden Tag aufs Neue, wann immer er auszog, um zu leben.
    Dr. Acula schmunzelte sogleich und lächelte ihm freundlich zu. „Dieses Buch ist wie ein schlechter Wein. Darum lese ich es nicht, weil ich bereits den üblen Geschmack kenne und ihn nicht wieder erleben möchte. Nun liegt es hier rum und fristet sein einsames Dasein als ein lebloser Gegenstand, der es nicht besser verdient hat.“ – Hans griff nach seiner Tasse und hob sie leicht an, um einen kurzen Schluck daraus zu nehmen – „Menschen hingegen sollten ihre Blicke nach draußen wenden und nach Freunden suchen, die ihre Zeit mit ihnen verbringen.“ Anerkennend nickte er. „Ja, das sollten sie wirklich tun“, fügte er hinzu als wolle er sich nochmals selbst bestätigen.
    „Aha.“, entgegnete der Junge lakonisch und wandte seinen Blick vom notizenübersäten Schreibtisch ab und schaute sich stattdessen die Portraits an, die an den Wänden hingen. Chad hasste es, wenn man nur indirekt mit ihm sprach, besonders wenn es um ihn ging. Er suchte dann immer eine Möglichkeit, um von sich abzulenken, so auch jetzt. „Sind sie eigentlich mit all diesen Personen verwandt oder wa-…“
    „Chad. Bitte.“, unterbrach ihn der Lehrer und deutete mit seiner Hand auf einen der beiden leeren Sessel. „Bitte setze dich.“
    Langsam, anfangs zögernd, kam der Junge der Bitte nach und nahm Platz. Augenblicklich sank er leicht im weichen Polster ein. „Ja?“, fragte er dann unsicher und mit gebrochener Stimme als ahnte er schon, was ihn erwarten würde. „Das waren keine leeren Phrasen, die ich soeben von mir gegeben habe.“, erklärte ihm der Mann mit wohltuender Stimme. „Du bist einsam. Das sehe ich doch.“
    Stille breitete sich zwischen den beiden Männern aus, wobei der eine dem anderen ins Gesicht und der andere zu Boden blickte. Es war eine bedächtige Ruhe, die sie in ihre Arme schloss und davon zeugte, dass etwas nicht stimmen konnte, einfach nicht richtig war. Beide wussten es, aber keiner wollte es ansprechen. Noch nicht. Denn tatsächlich hatten die Worte des Lehrers Chad tiefer getroffen, als man meinen mochte. Um genau zu sein trafen sie ihn jedes Mal aufs Neue und immer mit der selben Brutalität und Schärfe, wenn er an sein eigenes Unvermögen dachte, das ihm stets im Kopf herumspukte. Das wollte er aber nicht zugeben. Niemals würde er das tun, wenn es sich vermeiden ließe. Das hatte dieser Junge bereits vor Ewigkeiten beschlossen. Die eigene Einsamkeit offen einzugestehen würde nur bedeuten, weiter in diesen tiefen Höllenschlund zu stürzen, der sein Leben darstellte.
    Lange blickte Hans zu seinem Schüler hinüber, dann schlürfte er schließlich lautstark aus seiner Tasse. Ein unangenehmes Geräusch, fand Chad und verzog die Miene.
    „Ich kenne sie.“, murmelte der Lehrer schließlich. „Wen …? Wen kennen sie?“, fragte der Junge sichtlich verwirrt. „Die Menschen auf diesen Bilder selbstverständlich.“, erwiderte Chads Gegenüber. „Ich traf sie etliche Male in meinen Träumen, fand sie tief versteckt zwischen den Zeilen vieler Bücher und inmitten süßer Erinnerungen. Sie alle sind Teil meines Wesens, denn sie alle entsprangen meinen Ideen.“
    „Sie haben diese Bilder selbst gemalt?“, fragte Chad überrascht und blickte auf das Bild eines Menschen, der sein blondes Haar kurz trug und einen akkurat geschnittenen Vollbart in seinem kantigem Gesicht hatte. Die Augen selbst wirkten wie kaltes Eis und wiesen jene Schärfe auf, die den Jungen augenblicklich schaudern ließ. „Tatsache.“, seufzte Dr. Acula. „Ich habe so viele Bilder gemalt, dass ich selbst nicht weiß, wohin damit.“ – Chad runzelte die Stirn. Er wusste nicht, ob er den Worten dieses Mannes Glauben schenken sollte. Alte Männer palaverten immer gerne viel und lange, wenn sie Zeit dazu hatten. „Es ist so als würde man tagtäglich in die Rolle eines anderen schlüpfen“, fuhr Hans unbeirrt weiter fort. „Man nimmt morgens den Pinsel in die Hand und gegen Abend legt man ihn mitsamt dieser Rolle einfach so ab. Verstehst du was ich meine?“ Skepsis lag in den Augen des Jungen, dennoch nickte er. „Verstehst du wirklich, was ich sagen will?“, fragte ihn Hans seufzend und blickte ihn an, als habe man ihn enttäuscht.
    Das Spiel des Alten gelang und verunsicherte den Jungen. Nervös grub er die Finger in das Leder der Sessel hinein. „Ich… ich denke schon.“, stotterte Chad schwach. „Nein.“, sagte Hans traurig. „Du verstehst es eben nicht und das ist dein Problem. Darum lügst du doch auch.“ Chad wirkte sichtlich getroffen. Beinahe augenblicklich nahm er eine Haltung ein, die Hans als eine Aufbruchshaltung identifizierte. „Warte bitte noch einen Moment, bevor du gehst.“, gebot er ihm und fuhr dann weiter fort. „Tagtäglich steckst du in deiner Rolle fest, bist unfähig dich daraus zu befreien und über deinen Tellerrand hinaus zu schauen. Das musst du ändern, wenn du irgendwann Erfolg haben willst“
    „Ich möchte jetzt wirklich gehen. Mir ist gerade nicht ganz wohl.“, erklärte Chad salopp und vermied dabei jeglichen Augenkontakt. „Ich glaube, es gibt außerdem bald Essen im Internat.“, fügte er dann hektisch hinzu, um seine Worte zu stützen, weil er fürchtete, man würde ihm die Lüge nicht glauben. Vergeblich. „Wirklich?“, fragte Dr. Acula unverblümt und blickte zur Wanduhr hinüber. „Wolltest du nicht eigentlich sagen, dass du vor einer Konfrontation mit deinen Problemen fliehen willst? Das kannst du nicht ewig tun und das weißt du auch. Von Essen kann außerdem bei Weitem noch nicht die Rede sein.“
    Schmerz. Tiefer Schmerz quoll in den Augen des Jungen empor. Leichte Tränen begannen in den Augenwinkeln zu fließen und die Haut zu befeuchten. Er stand auf und wandte sich ab, um sie zu verbergen und auch um zu gehen. Dr. Acula jedoch blickte ihm nicht nach, sondern ignorierte seine Trauer vollends. Sein Blick galt ganz der unangerührten Tasse Tee, die er dem Jungen aufgegossen hatte und nun teilnahmslos musterte. „Auf dem Schreibtisch wirst du einige Aufgabenblätter vorfinden, die du mir demnächst vorzeigen wirst.“, sagte er dann langsam. „Sie werden als Extraleistung gewertet werden. Es wird dir sicher helfen, wenn du auf Leute zugehst und sie um Hilfe bittest, glaube mir.“
    „Das glaube ich nicht.“, erwiderte Chad kühl und griff nach dem Türknauf; die Schultasche hatte er schon längst geschultert. Die Tür stand offen und er wandte sich bereits zum Gehen, als Dr. Acula plötzlich begann zu sprechen:
    „Es heißt, manch großer Mann wäre nicht entdeckt worden, hätten seine Freunde nicht an ihn geglaubt.“ Chad horchte auf und spitzte die Ohren; hielt für einen Moment inne und verharrte in Bewegungslosigkeit. „Ich persönlich aber glaube“, fuhr Dr. Acula fort. „Dass man selbst manchmal ein großer Mann sein muss und an sich zu glauben hat, um Freunde zu finden. Das ist alles.“
    Chad schnaufte abfällig auf. „Das ist alles.“, flüsterte er verächtlich. Dann erklangen dumpfe Schritte und die Tür fiel klackend ins Schloss. Lange noch hörte man Chad den Gang hinunter schlurfen, immer leiser werdend, schließlich trat Stille ein, denn die Lautstärke hatte stetig abgenommen. Dr. Acula war nun vollkommen alleine. Dennoch stand er auf und wandte sich zur Tür um. Er erkannte augenblicklich, was er zuvor schon gewusst hatte: Sie war zu und der Raum leer. Chad war gegangen. Langsam ging Dr. Acula zum Schreibtisch hinüber und nahm einen kleinen Stapel Arbeitsblätter auf. Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, als er sie wiedererkannte: Es waren die Aufgaben, die er Chad hatte geben wollen. Der Bursche hatte sie nicht angenommen. Und doch war er nicht vollständig unzufrieden, weil er glaubte, dass seine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Das war die Hauptsache.
    Alles, was er jetzt noch zu tun vermochte, war warten. Entweder würde die Saat aufgehen oder verdorren. Aber leider waren die Bedingungen nicht ideal. Dr. Acula hatte nämlich die traurige Gewissheit, dass für manchen jungen Menschen die Schule ein überaus schrecklicher Ort war: Oft starb das Saatgut, noch bevor es überhaupt daran denken konnte, geerntet zu werden.
    Last edited by PetrusII; 12.12.2010 at 15:20.





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