Kapitel II - Die Schatten werden dunkler
Brânick nahm sich ein Dutzend der besten Krieger die er auftreiben konnte und beeilte sich, unverzüglich nach Nordosten zu dem verfluchten Tor zu reiten.
Es war ein langer und beschwerlicher Weg der durch die lebensfeindliche Felseinöde von Kârgoth führte und schließlich, nach einer Woche harter Reise, am Grenzgebirge zu den Geborstenen Landen endete.
Schließlich erreichten der Kriegsmeister und seine Soldaten das Tor und Brânick gab das Signal zum Anhalten.
„Stopp Männer!“, rief er. „Wir schlagen unser Lager hier auf und untersuchen die Gegend rund um das Tor!“
Gehorsam stiegen seine Mannen von den Pferden und begannen unverzüglich mit dem Aufbau eines Lagers. Auch Brânick selbst sprang vom Rücken seines Pferdes, doch er beteiligte sich nicht am Aufbau des Lagers, er wollte sich das offenstehende Tor ein wenig genauer ansehen, welches sich ein wenig vom Lager entfernt vom dunklen Grau der umliegenden Berge abhob. Ehrfurchtsvoll und mit klopfendem Herzen ließ Brânick die flache Hand über die makellose Bronzeoberfläche des Tors streichen.
„Ein beeindruckendes Tor, nicht wahr, Kriegsmeister?“, zischelte eine Stimme direkt hinter ihm.
Auf dem Absatz fuhr der so Angesprochene herum, noch im Umdrehen griff seine Hand nach dem Griff seines Schwertes und zog es einmal halbkreisförmig herum; ein fataler Schlag - wenn jemand hinter ihm gestanden hätte.
„Wer ist da?“, fragte Brânick.
Ein leises Zischen war die Antwort.
„Eine trügerisch einfache Frage, Kriegsmeister.“, war die Antwort. „Was wäre wenn ich euch sagte das dort wo ich herkomme einfache Namen oder Bezeichnungen schlichtweg bedeutungslos seien? Dass selbst das, was euch von den Tieren dieser Welt unterscheidet, eure Sprache, im Vergleich zu meiner Welt klingt wie das Grunzen der Schweine?“
„Und der, welcher keinen Namen hat, wird kommen und die Welt wird brennen...“
Aus den Prophezeiungen des Aniûn, Buch XIII, Seite 10031
„Was wollt ihr von uns?“, verlangte Brânick zu wissen ohne auf diese überheblichen Worte einzugehen.
„Ihr habt ein Talent dazu, Fragen zu stellen deren Antworten ihr nicht begreifen würdet.“, erwiderte die Stimme nach einigen Augenblicken der Stille. „Also werde ich euch die Antwort einstweilen vorenthalten. Aber nun entschuldigt mich; es gibt noch vieles, das ich vorbereiten muss.“
Etwas, das sich wie ein eiskalter Luftzug anfühlte, wehte an Brânicks Gesicht vorbei und er wusste, dass er wieder allein war. Zögernd ließ der Kriegsmeister das Schwert sinken. Hatte er diese Stimme wirklich gehört? War da wirklich etwas gewesen? Oder hatte die Nähe zu den Geborstenen Landen nur seine Sinne vernebelt und ihn schwachsinnig werden lassen? Erneut spürte er einen Luftzug im Gesicht, diesmal kam er durch den Spalt zwischen den beiden Torflügeln. Brânick versuchte erst gar nicht, die Flügel wieder zuzuwuchten, er wusste nur zu gut, dass dies unmöglich war wenn das Tor erst einmal offen stand. Stattdessen beeilte er sich lieber, zurück zum Lager und zu seinen Leuten zu kommen.
Ende Kapitel II
-------------------------------------------
Kapitel III – Der Verbotene Pfad Kurze Zeit später erreichte Brânick die Stelle, an der sie angehalten hatten. Die Pferde waren allesamt angebunden und mit Futter versorgt worden und zwei kleine Lagerfeuer vertrieben zumindest einen kleinen Teil der umliegenden Dunkelheit.
Kaum war der Kriegsmeister einen Schritt in das Licht getreten, da kam einer seiner Männer auf ihn zu; Ghûrin, sein Stellvertreter. Brânick nickte knapp.
„Habt ihr schon etwas entdeckt, Kriegsmeister?“, fragte der andere und verbeugte sich respektvoll.
Brânick überlegte kurz. Für gewöhnlich weihte er zumindest Ghûrin immer in seine Pläne ein und behielt keine Geheimnisse für sich. Andererseits waren die Dinge, die sich am Tor ereignet hatten, schon zu unglaubwürdig.
„Nein.“, antwortete er nach einer Weile. „Bisher konnte ich nichts finden; vielleicht haben wir morgen bei Tageslicht mehr Erfolg.“
Er legte sich neben eines der Lagerfeuer und wickelte sich in eine Decke, doch der Schlaf wollte ihn nicht ereilen. Noch als alle seine Männer tief schliefen sah der Kriegsmeister stumm zum Himmel und dachte nach.
Schon drei der neun Prophezeiungen waren in Erfüllung gegangen... und wie alle Bewohner des Kaiserreiches wusste auch Brânick nur zu genau was geschehen würde sollte sich auch die letzte von ihnen erfüllen. Die Zeit des Reiches würde enden; der Kaiser würde gestürzt werden und Chaos und Anarchie würden Einzug in Âncilâmâr einhalten. Die Welt so wie Brânick sie kannte würde untergehen. Entschlossen setzte sich der Kriegsmeister auf. Das musste verhindert werden! Er tastete neben sich nach seiner Waffe und erhob sich. Er konnte einfach nicht bis zum nächsten Morgen warten; er musste sich das Tor noch einmal genauer ansehen. Als er das Schwert schließlich in Händen hielt machte er sich auf den Weg.
„Er hat den Ruf vernommen.“, stellte die zischende Stimme zufrieden fest. „Alles verläuft genau nach Plan.“
Der Kriegsmeister erreichte das bronzene Tor. Verwundert kniff er die Augen enger zusammen. Irrte er sich oder hatten sich die Flügel ein wenig weiter geöffnet? Was hätte diese schweren Torflügel bewegen können wenn nicht Dutzende von Menschen? Brânick kniete sich nieder und untersuchte den Boden um das Tor herum, in der Erwartung, dort frische Fußspuren zu finden, aber er fand überhaupt nichts. Der Boden war glatt wie gefegt und nicht einmal eine einzige Spur ließ sich auffinden, geschweige denn ein ganzes Dutzend.
Stirnrunzelnd stand der Kriegsmeister wieder auf, nur um zum dritten Male an diesem Tag von einem eisigen Lufthauch gestreift zu werden.
„Ihr seid also zurückgekommen.“, stellte die Stimme fest.
„Jetzt zeigt euch endlich!“, forderte Brânick und wirbelte im Kreis herum. „Ich will sehen mit wem ich rede!“
„Ihr werdet mich früh genug zu Gesicht bekommen, Kriegsmeister.“, wisperte die Stimme. „Doch zuerst müsst ihr das Tor durchschreiten. Ihr werdet eure Antworten nicht hier finden. Nicht in diesem Reich. Wenn ihr wirklich wissen wollt was um euch herum geschieht kommt in die Geborstenen Lande.“
„In die Geborstenen Lande?“, wiederholte Brânick und lachte auf. „Seid ihr noch ganz richtig im Kopf? Jeder weiß, dass hinter dem Tor Dämonen und andere dunkle Wesen ihr Unwesen treiben und nur auf die Dummen lauern, die dieses Tor durchschreiten!“
„Ah, jeder weiß das also. Woher bezieht ihr dieses Wissen wenn nach eurer Auffassung niemand dumm genug ist, das Tor zu durchschreiten?“
Brânick setzte zu einer Antwort an, doch nichts Sinnvolles wollte über seine Lippen kommen.
„Da seht ihr es!“, rief die Stimme und zum ersten Mal glaubte der Kriegsmeister, so etwas wie Verachtung in ihr wahrzunehmen. „Ihr und die Aelvian, ihr seid so verblendet und glaubt ihr wäret die Krone von allem, das einzige, was noch unter euren sogenannten Göttern steht! Dinge die ihr nicht versteht, glorifiziert ihr entweder als eure Gottheiten, oder ihr verteufelt sie und bezeichnet sie als böse! Ihr seid erbärmlich und beschränkt. Es war nur richtig, dass wir erschienen um euch die Augen zu öffnen. Und nun durchschreitet dieses Tor wenn ihr eure Art endlich aus den Tälern des Unwissens befreien wollt!“
Trotz, oder gerade wegen dieser anklagenden Worte konnte Brânick einfach nicht anders als der Aufforderung der Stimme zu folgen. Langsam schritt er auf das Tor zu und schließlich setzte er einen Fuß über die Schwelle.
„Einer aus dem Volke der Menschen wird den Worten der Schatten erliegen und ihren Verbotenen Pfaden folgen. Dunkelheit wird ihn verschlingen und wenn er wiederkehrt, wird er verändert und verzerrt sein von den Grauen und der Schwärze die seine Augen sahen.“ Aus den Prophezeiungen des Aniûn, Buch XIII, Seite 10042 Ende Kapitel III