Die Totenwandler
Kapitel 1 - "Wiedergeburt"
„Der Tod ist nicht das Ende. Er ist nur die Tür zum nächsten Raum. Manchmal lässt sich diese Tür sogar von der anderen Seite aus öffnen.“
Der Wind umsäuselte das Gesicht des jungen Priesters der an einem Baum gelehnt gerade in einem alten Buch blätterte. Das Gras um ihn herum wiegte sacht hin und her und die bereits gerötete Sonne spendete immer noch eine angenehme Wärme. Das Buch dessen Einband schon erste Zeichen des Verfalls aufwies handelte über die Kunst der Nekromantie. Doch wer in ihm ein hochinteressantes Werk über dieses Handwerk vermutete wurde bereits nach den ersten Seiten herb enttäuscht. Das Buch war nicht viel mehr als eine Ansammlung von Legenden und Gerüchten zwischen die man manchmal etwas Wahrheit eingestreut hatte. Rafel ließ das Buch langsam nach unten sinken und blickte darüber hinweg in die untergehende Sonne.
Bald würde es dunkel sein, dann müsste er sich auf den Weg zurück ins Kloster machen. Seine Ausbildung zum Priester war schon fast abgeschlossen, doch bis zu seiner Prüfung würde er immer noch ein Novize sein. Er ließ das Buch nun vollends ins Gras gleiten und faltete die Hände hinter seinem Kopf zusammen. Bald würde er diese Idylle verlassen müssen und das harte oder eher chaotische Leben würde ihn wieder in seine Arme schließen, doch er war bereit dazu. Er wollte den Menschen helfen und die Ausbildung zum Priester hatte ihm die Möglichkeit gegeben seine Kenntnisse über die Medizin und Heilungsmagie zu vergrößern. Mit diesem Studium war es unvermeidlich gewesen sich näher mit dem Tod auseinander zu setzen. Nicht nur für den Fall, dass man entscheiden musste wer die größten Chancen hatte zu überleben sondern um ihn zu verstehen. Er wusste, dass er ein unausweichlicher Bestandteil des Lebens war, doch ihn faszinierten die Bestrebungen ihn zu umgehen. Die Nekromanten kannten viele Wege sich über den Tod hinwegzusetzen auch wenn dies meist mit unangenehmen Nebenwirkungen behaftet war. Doch Rafel wusste zu wenig darüber um sich ernsthaft eine Meinung bilden zu können. Dieses Buch hatte ihm auch kein Stück weiter geholfen. Er bedachte das Buch mit einem verächtlichen Blick und hob es auf. Die Sonne warf inzwischen ihre letzten Strahlen über die Hügel im Westen und wich der Nacht. Es wurde Zeit für Rafel zurückzukehren.
Der Wind frischte nun auf und peitschte die wenigen Wolken über den bereits dunklen Himmel. Doch der Weg war nicht weit, nur ein kleiner Fußmarsch trennte die grüne Wiese vom Kloster. Rafel schritt bereits über die hölzerne Brücke die den Andun an dieser Stelle überspannte. Hier noch ein schwächlich anmutender Fluss schwoll der Andun einige Kilometer weiter Flussabwärts zu einem mächtigem Strom an der schon so manches Schiff in seine Tiefen gerissen hatte.
Und da kam schon das Kloster in Sicht. In einem früheren Steinbruch gelegen wuchs es geradezu aus dem Fels heraus, doch dies hatte auch seine Nachteile. Der Steinbruch lag unterhalb des Flusses weswegen man bei zu starken Regenfällen durch einige der Gänge des Klosters schwimmen konnte. Die grauen Felsen warfen bereits ihre Schatten über den Kessel und in den Fenstern des Klosters konnte man den Schein der Fackeln und Kerzen deutlich erkennen. Die Erbauer hatten auf großartige Finessen verzichtet, das Kloster erinnerte an quadratische Felsblöcke die jemand übereinander gestapelt hatte. Eine zwei Meter hohe Mauer, verkleidet mit weißem Putz umgab das Kloster. Der runde Torbogen ragte deutlich aus der sonst geraden Mauer hervor und noch war das hölzerne Tor geöffnet. Rafel trat durch das Tor und wollte sein Zimmer aufsuchen, doch er sollte bald merken, dass er damit wohl noch warten musste.
Kaum das er das Tor passiert hatte packte ihn eine kräftige Hand an der Kapuze seiner Novizentracht und zog ihn zur Seite. Die Hand gehörte einem Mönch dessen Namen unter den Novizen unbekannt war. Auch über welche Fähigkeiten er verfügte blieb ihnen verborgen, zumindest alle bis auf eine. Zwar sprach er so gut wie nie ein Wort in Gegenwart der Novizen, weshalb die meisten ihn einfachen den Stillen nannten, doch er schien ein besonderes Gespür dafür zu haben wenn jemand seinen Pflichten nicht nachkam. Noch bevor er in das Gesicht des Stillen blickte fiel Rafel ein, was er vergessen hatte. Mit Mühe hielt er dem strengen Blick der kristallblauen Augen stand und stammelte eine Entschuldigung zusammen: „Es tut mir leid… ich habe es total vergessen. Wisst ihr da war dieses Buch…“ Rafel zog das Buch unter seinem Mantel hervor, doch dabei war er zu übereifrig. Das Buch entglitt seinen Händen und fiel auf den staubigen Boden. Der Stille schüttelte nur seinen Kopf und hob es wieder auf. Als er es Rafel reichte sagte er noch: „Dann holt eurer Versäumnis nach.“ Damit schien die Sache für ihn erledigt zu sein und er ließ ihn neben dem Eingang stehen. Noch einige Sekunden verharrte Rafel scheinbar unschlüssig an der Stelle dann eilte er so schnell er konnte in die Bibliothek wo seine Pflicht ihrer Erfüllung harrte.
Dort angekommen stellt er zuerst das Buch in sein Regal zurück, dann holte er sich vom Bibliothekar einen einfachen bereits leicht verrosteten Schlüssel und ging bis zum Ende der für das Kloster doch recht großen Bibliothek. Der letzte Bereich war doch ein engmaschiges Gitter vom Rest getrennt. Rafel schloss die Tür auf und gab ein leises stöhnen von sich. Zu unzähligen türmten sich Bücher vor ihm auf, weder sortiert noch stabil übereinander gestapelt. Seine Aufgabe war es sie in die teilweise schon leeren Regale wieder einzusortieren. Frohen Unmutes machte er sich daran den Büchern Herr zu werden.
Nach Stunden der Arbeit glaubte Rafel, dass er für zwei Wochen kein Buch mehr sehen könnte ohne den Verstand zu verlieren. Geschafft erreichte er die Tür zu seinem Zimmer und öffnete sie. Sofort hielt er innen, er wirkte als ob jemand seinen Willen weiterzugehen endgültig gebrochen hatte. Sein sonst so ordentliches Zimmer war vom Chaos nahezu überrannt wurden, es war fraglich, ob er überhaupt sein Bett wieder finden würde. Zu allem Überfluss lagen überall seine Bücher verstreut und schienen ihn voller Hohn zu verspotten.
„Ah, da bist du ja endlich Rafel! Weißt du ich habe meine Notizen verlegt und dachte ich hätte sie vielleicht bei dir liegen lassen…“ Diese Vertraute Stimme holte Rafel wieder weit genug in die Realität zurück, dass dieser sein Zimmer endgültig betrat und hinter sich die Tür schloss. Den Besitzer der Stimme konnte er jedoch noch nicht ausmachen. Doch da tauchten bereits die zersausten braunen Haare seines Freundes hinter seinem Kleiderschrank hervor. „Wie ich es mir dachte! Hier sind sie!“, triumphierend hielt er einen Stapel Zettel in die Luft die bis auf den letzten Millimeter beschrieben zu seien schienen. Eilig verstaute er sie unter seiner Tracht und wandte sich dem immer noch recht wortkargen Rafel zu. „Was ist den mit dir los?“, fragte er nun, scheinbar hatte er erst jetzt vollkommen bemerkt, dass Rafel mit fassungslosem Blick in seine Kammer starrte. Doch die Starre schien sich bereits zu lösen. Rafels Hand schnellte nach vorne und packte Falnars Schulter etwas unsanft als dieser aus dem Zimmer gehen wollte. „Falnar, wohin glaubst du gehst du?“ „Äh, in mein Zimmer?“ Falnar begriff in den nächsten Sekunden von Rafels Wutausbruch wie falsch diese Antwort gewesen war.