Der Mond beleuchtete die verschmutzten Gassen nur spärlich.
Laternen gab es hier keine.
Wozu auch?
Kein Mensch mit Verstand würde sich hier freiwillig aufhalten.
Der Duft von verbranntem Fett und Erbrochenem, gemischt mit Gestank, der nicht zuzuordnen war, zog durch die Gassen, stieg ihm in die Nase.
Mit schnellen, entschlossenen Schritten ging er weiter. Tiefer in die Dunkelheit.
Seine Rechte war wutverkrampft zu einer Faust geballt. So sehr, dass seine Knöchel weiß hervorstanden und schmerzen mussten - hätte er nicht diesen Adrenalinschub.
Fast blind marschierte er weiter durch die Gasse. Dabei trat er hin und wieder auf Essensreste, alte Zeitungen und sonstigen Müll.
Seine Absicht, nicht gesehen zu werden, war hierdurch aber gewahrt.
Er konnte selbst nicht sagen, was er gerade dachte. Die Umgebung nahm er fast verschwommen, anteilslos wahr.
Doch er kannte sein Ziel und wusste was zu tun war. Wusste, wie er seinen einfachen, perfiden Plan umsetzen konnte.
Plötzlich schoss ihm eine Erinnerung an seine Frau in den Kopf. Die weichen Gesichtszüge der hellhäutigen Blondhaarigen strahlten Frieden und Liebe aus. Es war auf ihrer letzten Geburtstagsfeier. Das Lächeln, zuckersüß, erwärmte kurz sein pulsierendes Herz, dann lief ihm ein Schauer über den Rücken, als ihm die Absurdität klar wurde.
Nun lag seine Frau auf dem Boden seines Apartments.
Mit geschlossenen Augen.
Blutend, regungslos.
Mit nur einem Schlag hatte er sie niedergestreckt. Ob sie noch lebte, war ihm egal.
Hätte sie ihn nicht mit seinem besten Freund betrogen, wäre er jetzt nicht hier. Hier, in dieser Situation. Hier, am Ende der Gasse angelangt.
Seine verkrampfte Hand öffnete und ertastete das schwere Jagdmesser unter seinem Mantel.
Das Fatale war, dass er sich im recht fühlte. Er war im recht.
Ohne seinen Blick nach links oder rechts zu wenden, überquerte er die Straße. Es kam kein Auto.
An der hölzernen Haustür des heruntergekommenen Plattenbaus angekommen, atmete er kurz durch und überlegte.
Recht? - Das Lächeln seiner Frau. Er trat die Tür ein.
Der angestauchte Fuß schmerzte ihm nicht, er fühlte gar nichts.
Auf den knarrenden Treppenstufen holte er das Messer hervor. Es lag kalt und sicher in der Hand.
Mit der langen, scharfen Klinge voran, stieg er weiter empor, bis in den dritten Stock.
Ihm begegnete niemand, doch was war ihm egal. Er war im recht.
An der Tür mit der schief angebrachten '8' blieb er stehen.
Instinktiv hämmerte er mit seiner Linken gegen die Tür. So instinktiv, wie er seine Frau geschlagen hatte, als sie mit ihm über 'die Sache' reden, sie ihm erklären wollte.
Nun bluteten seine Knöchel.
Er wartete ab, ob sein Freund, der ihn hintergangen hatte, den Mut hatte aufzumachen.
Seine Frau hatte wenigstens den Mut gehabt, hatte es mit Erklärungen versucht. Seine richtende Faust hatte sie an weiteren Ausführungen gehindert.
Sein Herzschlag ließ den Flur in dem er stand erbeben.
Keine Reaktion hinter der Tür.
Erneut trat er mit seinem rechten Fuß gegen die Tür. Das Holz barst, die Tür flog auf.
Nun forderte sein verletzter Fuß seinen Tribut. Er hinkte in das unbeleuchtete Apartment.
Das Messer war so bereit wie er es war.
Die Erinnerung an die schöne Zeit mit seiner Frau kam wieder hoch. Ihm wurde schlecht.
Als er den nächsten Raum betrat, stockte er. Den Mann, der einst sein Freund gewesen war, hatte er gefunden.
Ein einfacher Holzstuhl stand in dem Raum.
Ein dickes Seil war an einer widerstandfähigen Deckenlampe angebracht; das Ende um seinen Hals gewickelt.
Der Mann hing leblos im Raum. Ein Urinfleck kennzeichnete seine Jeans.
Er hatte sich feige erhängt.
Unter dem Toten lag ein Zettel. Seine letzte Nachricht.
Die Tötungsabsichten waren auf einen Schlag verflogen. Was blieb, war das Gefühl der Übelkeit und der sich überschlagende Herzschlag.
Verwundert nahm er den Abschiedsbrief auf.
Das Messer krachte auf den Boden, als er die letzten Worte seines Freundes las, und ihn die Kraft verließ.
Es tut mit leid, ich kann damit nicht weiterleben.
Ich habe euer Leben zerstört, indem ich nur an mich gedacht und Unrecht getan habe.
Wir haben es geklärt. Sie kann nichts dafür, es war mein schrecklicher Fehler. Sie war betrunken und ich habe es ausgenutzt.
Ich kann dir nur sagen, dass sie dich liebt.
Meine Worte machen meine Taten auch nicht gut.
So verschwinde ich aus eurem Leben, für immer, und hoffe, dass ihr mir verzeihen und weiterleben könnt.
Er sackte auf die Knie.
Die Übelkeit übermannte ihn.
Schuldgefühle fraßen an seiner Seele.
Nun hatte er zwei geliebte Menschen verloren, weil er nur an sich gedacht und Unrecht hatte.
Diese Erkenntnis stach ihm mitten ins Herz, wie ein eiskalter Dolch.
Ihm wurde schwarz vor Augen...