Teil 1

Wo war ich? Wer war ich? Und, was hatte ich mit dem leblosen Körper vor, den ich auf den Händen trug? All diese Fragen stellte ich mir schon seit langem, wie lange, das wusste ich nicht. Mir ist schon vor einiger zeit jedes Zeitgefühl abhanden gekommen.
Das wärmende Blut, das von dem leblosen Körper gekommen war, war längst versiegt. Dunkelrote Krusten hatten sich unter meinen Fingernägeln gebildet.
Ich warf einen liebevollen, langen blick in das Gesicht des Menschen, den ich so gerne in meine jetzt verkrampften Arme geschlossen hatte. Die leeren Augen strahlten noch immer eine unerklärliche Zufriedenheit aus. Aber es war auch noch etwas anderes in diesem Blick, und dieses etwas ließ meine Nackenhaare zu Berge stehen. Es war Angst. Reine, tiefe Angst.
Wie spät war es eigentlich schon? Wie lange ging ich schon in diese Richtung? In der Welt, aus der ich kam, konnte jetzt die schwärzeste, gefährlichste Nacht herrschen, die die Menschheit bis jetzt gesehen hatte. Aber es konnte auch hellster Tag sein. Regnete es gerade in dem Land, aus dem ich gekommen war?
Und was war mit den Menschen, die ich zurückgelassen hatte? Spiegelten sich in ihren Augen Regentropfen? Machten sie sich gerade Sorgen um mich? Aber das hätte doch gar keinen Grund. Ich würde sterben, das ist mir klar. Aber wäre das so schlimm? Und wie ich sterben würde, das wäre doch auch egal. Ob langsam und qualvoll, oder ob schnell und ohne dem geringsten Schmerz, was macht das für einen unterschied? Was letztendlich zählte, war das Resultat.
War ich wirklich mein ganzes Leben lang so naiv gewesen, und hätte gedacht, das irgendwer um mich trauern würde? Man würde meine Leiche wahrscheinlich nie finden, aber wenn, dann würde sich den Menschen ein Blick voller Liebe entgegenwerfen. Zwei Skelette, die sich umarmen, zwei Menschen, die in Liebe und Zuversicht gestorben waren. Endlich hatte ich mein Ziel erreicht. Ich wusste nicht, ob es das wirklich war, ein Ziel, aber ich hatte es einfach im Gefühl.
Der Altar aus schwarzem Marmor erhob sich majestätisch und böse aus dem weißen Schnee, in dem ich stand. Aber auch dieses Detail, wenn auch noch so groß, nahm ich nur am Rande war. Was jetzt wirklich wichtig war, war die Erkenntnis, dass ich mein Ziel erreicht hatte. Ich legte den toten, leblosen Körper, den ich nie mehr aufhören werde zu lieben, auf den Altar.
Meine Hände holten einen kunstvoll geschmiedeten, schwarzen Dolch aus meinem Gürtelbund.
Gerade, als ich die göttlich scharfe, schwarze Klinge an meine Kehle anlegte, um dem letzten großen Ereignis in meinem Leben mit einem Stich den Startschuss zu geben, löste sich mein Gesichtsfeld auf. Ich sah plötzlich alles weiß um mich herum.
Nein, ich hatte nicht zugestochen. Aber warum hatte mein Körper dann plötzlich kein Gewicht mehr? Warum wollte ich nichts mehr wahrnehmen? Und, warum war dann mein ganzes Gesichtsfeld voller Menschen in weißen Umhängen?