Das ist ein sehr hübsches, weil psychologisch gut durchdachtes Beispiel, aber es greift doch ein wenig zu kurz. Warum hat mich Nation X denn gefangen genommen und gefoltert?
Menschenrechtler werden wohl immer einwenden, dass kein Grund der Welt Folter rechtfertigt. Das ist sehr nobel und überhaupt verlangt es Respekt, wenn man sich für die Rechte anderer einsetzt.
Aber bleiben wir doch mal ganz eiskalt analytisch. Die Haltung "Folter ist nie berechtigt" entspringt genauso wie die Behauptung "Folter kann begründet sein" einer Werthaltung; einer Überzeugung. Solche können aber nie universell sein, weil sie schlicht subjektiv sind. Und wenn man dieses Gedankengebäude weiterspinnt und geschickt begründet, kann man leicht zu dem Schluss kommen, dass mich Nation X zurecht gefangen hält und foltert. Auch wenn ich das nicht richtig fände.
Dass die Vereinten Nationen die Menschenrechtscharta nicht "einfach so" beschlossen haben, stimmt. Aber man muss bedenken, dass die UN innerlich längst ein Legitimationsproblem hat, denn es sind nicht nur die in ihr handelnden Staatschefs, deren Vertretungsanspruch für ihr Land man immer in Zweifel ziehen kann. Es ist auch die UNO selbst, deren Organisation immernoch das politisch-internationale System von 1945 abbildet (insb. Dominanz der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs), welches mindestens seit 1990 total überholt ist und das halte ich für problematisch.
Es wäre also erstmal eine Reform der Vereinten Nationen fällig, die der herrschenden Multipolarität, dem Aufstieg Ostasiens und der Rehabilitation von Deutschland und Japan Rechnung trägt (die beiden sind bis heute "Feindstaaten" der UN). In diesem Zusammenhang könnte man dann auch die Menschenrechtsfrage vor einem veränderten außenpolitischen Hintergrund klären. Ich glaube aber nicht, dass die realistischste Lösung dem Westen gefallen würde...