Jhoa... ich komm ja so gut wie zu garnichts in letzter Zeit, aber ich hab doch beschlossen, ab und an mal wieder was Kurzgeschichtliches zusammenzustoppeln, was dann eventuell seinen Weg hierher finden wird.
Schwarzrose
Zum ersten Mal seit vier Jahren trat Fürst Velas von Braith vor sein Volk um eine Ansprache zu halten.
Lange Zeit hatte ihn kaum jemand zu Gesicht bekommen, denn der Fürst war der paranoiden Vorstellung verfallen, dass ein ganzes Heer von Meuchelmördern und Assassinen auf ihn angesetzt worden war.
Ich lächelte. Als würde irgendjemand ein Heer für eine Arbeit anwerben, die nur zu leicht von einer Person getan werden konnte.
Langsam brachte ich mich in Position und nahm den Langbogen von meinem Rücken. Während ich die Sehne einhakte, begann der Fürst mehrere Stockwerke unter mir mit einer pathetischen Ansprache, in der er seinem Volk versprach, gegen die inzwischen seit Monaten anhaltende Hungersnot mit allen Mitteln vorzugehen – das übliche Gewäsch der Reichen und Adligen. Ich verzog angewidert das Gesicht. Wie vor jedem Auftrag hatte die Gilde den Lebensstil der Zielperson natürlich schon Wochen im Voraus ausgekundschaftet und wusste daher, dass der Fürst selbst sich keineswegs an die Sparmaßnahmen hielt, die er jetzt mit so flammenden Worten einforderte.
Ich griff in den kleinen Lederbeutel der an meinem Gürtel hing, zog eine der Kräuterpillen daraus hervor und schluckte sie. Der beschleunigte Herzschlag vor dem Schuss war eines der berauschendsten Gefühle überhaupt – und eines der törichtesten.
Schon mehr als ein Attentat war misslungen, weil der Schütze durch das heftige Herzklopfen den Bogen im entscheidenden Augenblick verrissen hatte und der Schuss fehlgegangen war.
Die Gilde hatte dagegen eine bestimmte Kräutermischung für sich entdeckt, die die Sinne schärfte und den Herzschlag beruhigte.
Die Wirkung trat beinahe augenblicklich ein.
Mit dem nächsten Griff förderte ich den pechschwarzen Pfeil zutage, der in einem an meinen Unterarm geschnallten Spezialköcher steckte.
Versonnen betrachtete ich den Pfeil, der soviel mehr war als nur Munition für einen Bogen. Er war überdies eine Botschaft, ein Symbol und ein Markenzeichen.
Nur selten wurden die Rosen, wie diese Pfeile auch genannt wurden, verwendet. Ihr Gebrauch war lediglich den höchsten Mitgliedern der Gilde vorbehalten; den Sendboten der Schwarzen Rose.
Der Schaft des Geschosses bestand aus Ebenholz, die Befiederung aus Rabenfedern. Die Spitze aus geschwärztem Stahl war mit einer in das Metall geprägten Rose verziert. Überdies trug jeder Pfeil auf seinem Schaft die Namen sowohl der Zielperson als auch des Sendboten der ihn abgeschossen hatte.
Langsam strich ich mit dem Zeigefinger die Befiederung glatt.
Ein Pfeil.
Ein Versuch.
Mehr würde es nicht geben. Jedem Sendboten wurde bei einem Attentat nur eine Rose zur Verfügung gestellt. So geriet niemand in Versuchung, nach einem misslungenen Schuss einen zweiten Versuch zu wagen und so Gefahr zu laufen, gefangen genommen oder getötet zu werden. Ging der Schuss fehl, war dies das Zeichen so schnell und unauffällig wie möglich zu fliehen. Es war ebenso sehr die Garantie dafür, dass der Sendbote über Jahre hinweg keine weitere Rose erhalten würde.
Doch diese Tatsache bereitete mir keine Sorgen. Ich war seit nun beinahe zwei Jahrzehnten einer der höchsten Sendboten der Gilde und noch nie hatte eine von mir versandte Rose ihr Ziel verfehlt.
Ich holte tief Luft, bevor ich den schwarzen Pfeil auf die Sehne des Bogens legte und diese langsam spannte.
Entfernung und Schusswinkel waren nicht optimal, aber gerade deshalb hatte ich meine Position ausgewählt. Es war ein schwieriger, aber kein unmöglicher Schuss; gerade schwierig genug, dass die Leibwachen des Fürsten das Dach des Gebäudes, auf dem ich mich befand, mit einiger Sicherheit als ungefährlich eingestuft hatten. Um meine Flucht würde ich mir also keine Gedanken machen müssen.
Fürst Velas gestikulierte theatralisch mit seinen Armen und gab mir so Gelegenheit, durch langsames Ein- und Ausatmen meinen Arm noch weiter zu beruhigen.
Dann schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, verharrte er regungslos, mit weit ausgebreiteten Armen – bereit, den tosenden Jubel und Applaus seines Volkes in Empfang zu nehmen.
Die Spitze der Rose zeigte genau auf sein Herz als ich losließ.
Das Gellen der Sehne ging vollkommen in dem Trubel des Volkes unter, aber dennoch sah Velas in genau diesem Augenblick zu mir auf. Und erkannte mich.
Mit einem Grinsen hakte ich die Sehne des Bogens aus. Für den Fürsten kam jede Hilfe zu spät.
Der Pfeil flog.
Und traf.