Kurze Zeit später erreichte er die Stelle, an der den Stadtchroniken zufolge das Haus des Händlers Armir gestanden hatte.
Noch immer stand ein Gebäude dort und den blinden, verstaubten Fensterscheiben zufolge stand es seit geraumer Zeit leer.
Surectes umrundete das alte, baufällig wirkende Gebäude und erreichte schließlich eine Stelle, die von der Straße aus nicht eingesehen werden konnte.
Er zerschlug eine Fensterscheibe, stieg in das Gebäude ein und fand sich in einem leeren Raum wieder.
Zentimeterdick lag Staub auf dem Boden.
Unrat lag herum und die Wände waren überzogen mit Spinnweben.
Eine Tür führte ins Nebenzimmer.
Als sich Surectes’ Finger um den Türgriff schlossen, löste sich die Tür aus den Angeln und fiel dumpf zu Boden, wobei sie Kaskaden von Staub aufwirbelte.
Der Vampir sah sich in dem neuen Raum um.
Er war wesentlich größer als der erste, doch ebenso wie dieser vollkommen leer abgesehen von einer weiteren Tür.
Surectes öffnete auch diese.
Dahinter kamen schmale Treppenstufen zum Vorschein, die in den Keller des Hauses hinabführten.
Langsam und vorsichtig stieg Surectes sie hinab.
Spinnweben hingen im Weg und streiften sein Gesicht, doch er ging weiter bis er unten angelangt war.
Er musste sich nur ein einziges Mal umsehen und wusste sofort, dass er das Ziel seiner Suche erreicht hatte.
Der Raum war im Gegensatz zu den beiden im Erdgeschoss noch vollständig eingerichtet.
Auf einem schlichten Holztisch standen verschiedene Glasapparaturen, die mit Glasrohren miteinander verbunden waren.
An einer gegenüberliegenden Wand befand sich ein großes Bücherregal.
Surectes ließ seinen Blick prüfend über die Buchrücken der uralten Folianten schweifen.
„Geheimnisse der Nekromantie“, „Fortgeschrittene Schwarzmagie“ und „Die Unsterblichkeit – Eine Abhandlung über die verschiedenen Theorien“ waren nur einige von ihnen.
Mühsam riss Surectes den Blick von den Büchern los.
Zweifellos waren sie sehr interessant, doch er war auf der Suche nach etwas anderem.
Er sah sich den Tisch mit den Glasapparaturen genauer an, doch auch dort fand sich kein Hinweis auf die Alieaneth.
Enttäuscht wandte sich Surectes zum Gehen, als sein Blick doch noch auf etwas interessantes fiel.
Eine kleine schwarze Tür.
Sie war so perfekt in die Wand eingelassen, dass man sie leicht übersehen konnte.
Über die gesamte Tür waren Schriftzeichen in verschiedenen Sprachen gemalt.
Das wenige was Surectes entziffern konnte, wies auf einen Bannspruch des Ordens der Templer hin.
Mit gerunzelter Stirn ging er auf die Tür zu.
Was könnte so wertvoll sein, dass man es mittels eines Bannkreises versiegelt hatte?
Er legte seine Hand an die Tür, die daraufhin zu vibrieren begann.
Mit einem heftigen Schlag riss der Vampir die Tür aus ihren Angeln.
Sie flog mehrere Meter und krachte dann lautstark gegen eine Wand, wo sie zersplitterte.
Kaum hatte Surectes einen Schritt in die dahinterliegende Kammer getan, da sprang ihn etwas erschreckend starkes an.
Vollkommen überrumpelt ging er zu Boden bevor er reagieren konnte.
Über ihm kauerte in gebückter Haltung ein menschlich aussehendes Wesen.
Doch der Ausdruck, der in den Augen der Kreatur lag zeigte Surectes, was es wirklich war.
Die Pupillen waren verengt und die Augen selbst waren blutrot geworden.
Über Surectes kauerte ein Vampir.
Ein Vampir, der seit sehr langer Zeit kein Blut mehr getrunken hatte.
Er sah aus wie ein menschlicher Mann mittleren Alters.
Sein Haar hing ihm wirr ins Gesicht und war mit gräulichen Strähnen durchzogen.
Seinen nackten Oberkörper überzogen unzählige Narben.
Surectes wusste, woher sie stammten.
Litt ein Vampir unter Blutmangel, verlor er die Kontrolle über sich und fügte sich und jedem Gegenstand oder Wesen in seiner Umgebung Verletzungen zu.
Der Vampir wurde von krampfhaften Zuckungen geschüttelt, dennoch brachte er es fertig, mit den trockenen Lippen ein einzelnes Wort zu formen.
„Blut!“
Aus seiner Stimme klang der reine Wahnsinn.
Außerdem schien er sie lange Zeit nicht gebraucht zu haben, denn sie klang rau und eingerostet.
Surectes zog eine der Blutflaschen aus seinem Beutel und warf sie dem Vampir zu.
Dieser fing sie auf und entkorkte das Fläschchen mit zitternden Händen.
Dann kippte er den Inhalt in einem Zug hinunter.
Augenblicklich ließ sein Zittern nach und die Augen färbten sich wieder weiß.
„Danke.“, sagte er und ließ das leere Fläschchen zu Boden fallen wo es zerbrach.
Der Vampir streckte Surectes eine Hand entgegen und half ihm wieder auf die Beine.
„Es tut mir Leid dass ich euch angegriffen habe.“, entschuldigte er sich. „Ich habe seit mindestens zweitausend Jahren kein Blut mehr gesehen...“
Surectes riss die Augen auf.
„Zweitausend Jahre?“, fragte er ungläubig. „Wie habt ihr das ausgehalten?“
„Ich weiß es nicht.“, erwiderte der Vampir. „Irgendwie habe ich es überstanden. Doch jeder Tag war eine Tortur...“
„Ich weiß.“, nickte Surectes. „Ich weiß wie es ist ohne Blut auskommen zu müssen.“
Einige Augenblicke herrschte Schweigen, dann verbeugte sich der heruntergekommene Vampir.
„Wo bleiben meine Manieren? Darf ich euch in meinem bescheidenen Heim willkommen heißen? Mein Name ist Armir Angalar.“